Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Annullierung eines Fluges. Unterstützungspflicht. Begriff ‚anderweitige Beförderung‘. Ausgleichsleistungen für Fluggäste bei Annullierung von Flügen. Covid-19-Pandemie. Repatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Rahmen der konsularischen Unterstützung organisiert wurde. Vom gleichen ausführenden Luftfahrtunternehmen zur gleichen Uhrzeit wie der annullierte Flug durchgeführter Flug. Dem Fluggast zur Last fallende Kosten, die die reinen Flugkosten übersteigen
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1
Beteiligte
Austrian Airlines (Vol de rapatriement) |
Tenor
1.Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
sind dahin auszulegen, dass
ein Repatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme im Anschluss an die Annullierung eines Fluges organisiert wird, keine „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung darstellt, die das ausführende Luftfahrtunternehmen einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, anbieten muss.
2.Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
einem Fluggast, der sich im Anschluss an die Annullierung seines Rückflugs selbst für einen von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisierten Repatriierungsflug anmeldet und dafür einen verpflichtenden Unkostenbeitrag an diesen Staat leisten muss, gegenüber dem Luftfahrtunternehmen kein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten auf der Grundlage dieser Verordnung zusteht.
Um von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Kosten erstattet zu bekommen, kann sich dieser Fluggast vor einem nationalen Gericht aber darauf berufen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen zum einen seiner Verpflichtung zur vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan zwecklos gewordene Reiseabschnitte und zum anderen seiner Unterstützungsverpflichtung nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung, einschließlich seiner Verpflichtung, die Fluggäste zu informieren, nicht nachgekommen ist. Dieser Kostenersatz muss jedoch auf das begrenzt sein, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falls als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-49/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Korneuburg (Österreich) mit Beschluss vom 4. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 2022, in dem Verfahren
Austrian Airlines AG
gegen
TW
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Austrian Airlines AG, vertreten durch Rechtsanwälte M. Brenner und M. Klemm,
- – von TW, vertreten durch Rechtsanwältin F. Puschkarski sowie Rechtsanwälte A. Skribe und P. Zwifelhofer,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Kunnert, A. Posch und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, G. Wilms und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. März 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Austrian Airlines AG und TW wegen der Weigerung von Austrian Airlines, TW und seiner Ehefrau die Kosten zurückzuerstatten, die sie für die Beförderung mit einem von der Republik Österreich im Rahmen ihrer konsularischen Aufgaben organisierten Repatriierungsflug tragen mussten, nachdem ihr Flug von Austrian Airlines aufgrund der Covid-19-Pandemie annullie...