Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung. Angemessene Rechtsbehelfsfrist. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht. Im beschleunigten Verfahren ergangene Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2013/32/EU Art. 22-23, 46 Abs. 4; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Tenor
Art. 46 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine im beschleunigten Verfahren ergangene Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, eine Frist von drei Tagen – unter Einbeziehung von Feiertagen und arbeitsfreien Tagen – vorsieht, da eine solche Frist an der effektiven Inanspruchnahme der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 sowie in den Art. 22 und 23 dieser Richtlinie garantierten Rechte hindern kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-58/23 [Abboudnam](
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien) mit Entscheidung vom 31. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 2023, in dem Verfahren
Y. N.
gegen
Republika Slovenija
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter) und N. Jääskinen,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 46 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Y. N. und der Republika Slovenija (Republik Slowenien) wegen der Entscheidung des slowenischen Innenministeriums (im Folgenden: Innenministerium), den von Y. N. gestellten Antrag auf internationalen Schutz im beschleunigten Verfahren als offensichtlich unbegründet abzulehnen (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 20, 23, 25 und 50 der Richtlinie 2013/32 heißt es:
„(20) Ist ein Antrag voraussichtlich unbegründet …, sollte es den Mitgliedstaaten unter genau bestimmten Umständen möglich sein, das Prüfungsverfahren unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung und der effektiven Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen wesentlichen Grundsätze und Garantien durch den Antragsteller zu beschleunigen, insbesondere indem kürzere, jedoch angemessene Fristen für bestimmte Verfahrensschritte eingeführt werden.
…
(23) Antragsteller sollten in Rechtsbehelfsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen unentgeltlich Rechtsberatung und -vertretung durch Personen erhalten, die nach nationalem Recht dazu befähigt sind. Darüber hinaus sollten Antragsteller in allen Phasen des Verfahrens auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt oder sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberater konsultieren dürfen.
…
(25) Im Interesse einer ordnungsgemäßen Feststellung der Personen, die Schutz als Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, Nr. 2545 [1954], S. 150), ergänzt und geändert durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge] oder als Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz benötigen, sollte jeder Antragsteller effektiven Zugang zu den Verfahren und die Gelegenheit erhalten, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren und effektiv mit ihnen zu kommunizieren, um ihnen den ihn betreffenden Sachverhalt darlegen zu können; ferner sollten ausreichende Verfahrensgarantien bestehen, damit er sein Verfahren über sämtliche Instanzen betreiben kann. Außerdem sollte das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz dem Antragsteller in der Regel zumindest … das Recht auf Beiziehung eines Dolmetsche...