Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Asylpolitik. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem ein Folgeantrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wird. Rechtsbehelfsfrist. Zustellungsmodalitäten
Normenkette
Richtlinie 2013/32/EU Art. 46; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Commissaire général aux réfugiés und aux apatrides |
Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides |
Tenor
Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der für die Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem ein Folgeantrag auf internationalen Schutz für unzulässig erklärt wird, eine Ausschlussfrist von zehn Tagen unter Einbeziehung von Feiertagen und arbeitsfreien Tagen gilt, die ab der Notifizierung dieses Beschlusses läuft, auch dann, wenn eine solche Notifizierung am Sitz der für die Prüfung dieser Anträge zuständigen nationalen Behörde erfolgt, weil der betreffende Antragsteller in diesem Mitgliedstaat keinen Wohnsitz bestimmt hat, nicht entgegensteht, sofern diese Antragsteller erstens davon unterrichtet werden, dass in ihrem Fall, wenn sie für die Zwecke der Notifizierung des ihren Antrag betreffenden Beschlusses keinen Wohnsitz bestimmt haben, davon ausgegangen wird, dass sie ihren Wohnsitz für diese Zwecke am Sitz der fraglichen nationalen Behörde bestimmt haben, zweitens die Bedingungen für ihren Zugang zu diesem Sitz die Entgegennahme der sie betreffenden Beschlüsse nicht übermäßig erschweren, drittens gewährleistet ist, dass sie innerhalb einer solchen Frist die für Personen, die internationalen Schutz beantragen, im Unionsrecht vorgesehenen Verfahrensgarantien effektiv in Anspruch nehmen können, und viertens der Äquivalenzgrundsatz gewahrt ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung diesen Anforderungen entspricht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 1. August 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. September 2019, in dem Verfahren
JP
gegen
Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, L. Bay Larsen und N. Jääskinen,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von JP, vertreten durch D. Andrien, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Van Regemorter und C. Van Lul als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Dubois und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und A. Azema als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JP und dem Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose, Belgien, im Folgenden: Generalkommissar) wegen des Beschlusses, mit dem er den von JP gestellten Folgeantrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 18, 20, 23, 25, 50 und 60 der Richtlinie 2013/32 heißt es:
„(18) Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.
…
(20) Ist ein Antrag voraussichtlich unbegründet …, sollte es den Mitgliedstaaten unter genau bestimmten Umständen möglich sein, das Prüfungsverfahren unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung und der effektiven Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen wesentlichen Grundsätze und Garantien durch den Antragsteller zu beschleunigen, insbesondere indem kürzere, jedoch angemessene Fristen für bestimmte Verfah...