Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen. Entzug der Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat. In einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein. Ablehnung der Anerkennung der Fahrerlaubnis im ersten Mitgliedstaat. Erfordernis der Beachtung der nationalen Bedingungen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einem Entzug
Normenkette
Richtlinie 91/439/EWG
Beteiligte
Tenor
Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 geänderten Fassung verwehrt es einem Mitgliedstaat, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins, auf den im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früher erteilten Fahrerlaubnis ohne gleichzeitige Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet worden ist, die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. September 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 19. September 2005, in dem Strafverfahren gegen
Stefan Kremer
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter) sowie der Richter J. Malenovský, A. Tizzano, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: R. Grass,
gemäß Artikel 104 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 1 Absatz 2 und 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 (ABl. L 150, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen des Verfahrens über eine Revision, die Herr Kremer, der deutscher Staatsangehöriger ist und in Deutschland wohnt, beim Oberlandesgericht München eingelegt hat, nachdem er zu einer Freiheitsstrafe wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden war; die zuständigen Behörden waren der Ansicht, dass er seit der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht mehr zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt sei, und hatten es abgelehnt, die Gültigkeit der Fahrerlaubnis anzuerkennen, die ihm später in Belgien ausgestellt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
…”
4 Nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins außerdem „vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III” und „vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats” ab.
5 Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie lautet: „Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein”.
6 Artikel 8 der Richtlinie 91/439 sieht vor:
„(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist.
(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
…
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, ...