Leitsatz
Mit Urteil v. 6.3.2007 hat der EuGH erneut die Vorschriften des ehemaligen deutschen Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens insoweit nicht mit dem Europarecht vereinbar erklärt, als sie nur die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf Ausschüttungen unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften vorsahen. Das Urteil enthält entgegen dem Antrag Deutschlands keine zeitliche Beschränkung.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtigen hatten von 1995 bis 1997 Dividenden von Kapitalgesellschaften mit Sitz in Dänemark und in den Niederlanden erhalten. Ihr Antrag auf Anrechnung der in diesen Staaten erhobenen Körperschaftsteuer von 34 % bzw. 35 % der Gesellschaftsgewinne auf die deutsche Einkommensteuer hatte das Finanzamt unter Hinweis auf § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG abgelehnt. Diese Vorschrift sah lediglich eine Anrechnung von 3/7 der Dividenden unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften, nicht aber von anderen Kapitalgesellschaften vor.
Nach Auffassung des EuGH ist diese Beschränkung der Körperschaftsteuer-Anrechnung bei Dividenden von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ein Verstoß gegen die europarechtlich in Art. 56 und 58 garantierte Kapitalverkehrsfreiheit. Die Beschränkung des Anrechnungsverfahrens auf Dividenden deutscher Kapitalgesellschaften würde potentielle Anleger davon abhalten, sich an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedsstaaten zu beteiligen und damit eine rechtwidrige Behinderung des Kapitalverkehrs innerhalb der EU darstellen.
Der Rückgang der Steuereinnahmen durch Anrechnung ausländischer Steuern könne nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden, der zur Rechtfertigung einer grundsätzlich gegen EU-Recht verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann.
Die Rechtswidrigkeit des deutschen Anrechnungsverfahrens ist spätestens seit dem EuGH-Urteil v. 7.9.2004 – Rs. C-319/02 (Manninen) keine Überraschung mehr. Bereits in dieser Entscheidung wurde ein Verstoß des deutschen Anrechnungsverfahrens gegen EU-Recht festgestellt. Wichtig an der nun ergangenen Entscheidung ist allerdings, dass der EuGH dem Antrag Deutschlands nicht gefolgt ist, die Auswirkungen des Urteils zeitlich zu beschränken. Damit ermöglicht der EuGH die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer für sämtliche noch nicht verjährten Veranlagungszeiträume (VZ), soweit in diesen noch das ehemalige Anrechnungsverfahren gegolten hat.
Hinweis
Zu beachten ist, dass eine Anrechnung der Körperschaftsteuer von der Vorlage einer Steuerbescheinigung abhängig ist. Unabhängig davon, ob für Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften eine der deutschen Steuerbescheinigung angeglichene Bescheinigung heute noch erbracht werden kann, ist entscheidend, dass für VZ ab 1996 die nachträgliche Vorlage einer Steuerbescheinigung kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 AO darstellt. Damit dürfte in vielen Fällen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sein, die einer Steueranrechnung entgegen steht.
Soweit Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten ist, kann eine Änderung der Steuerfestsetzung und damit eine Steueranrechnung auf Antrag erfolgen. Hier ist allerdings abzuwarten, welche Anforderungen die Finanzverwaltung an den Nachweis der Vorbelastung der Dividenden mit ausländischer Körperschaftsteuer stellen wird. Es ist zu erwarten, dass hierzu in Kürze eine Anweisung der Finanzverwaltung ergehen wird. Zur Wahrung der Ansprüche bietet es sich jedoch an, in betroffenen Fällen bereits jetzt entsprechende Änderungsanträge nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu stellen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 6.3.2007, Rs. C-292/04, Meilicke.