Leitsatz
Die Art. 56 EG und 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung entgegenstehen, nach der bei einer Ausschüttung von Dividenden durch eine Kapitalgesellschaft ein in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner dann in den Genuss einer Steuergutschrift kommt, die nach Maßgabe des für die ausgeschütteten Gewinne geltenden KSt-Satzes berechnet wird, wenn die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz im selben Mitgliedstaat hat, nicht aber dann, wenn sie ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
Normenkette
§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F., Art. 56, 58 EG
Sachverhalt
Der verstorbene H. Meilicke, der in Deutschland wohnhaft war, besaß Aktien von Gesellschaften mit Sitz in den Niederlanden und in Dänemark. In den Jahren 1995 bis 1997 erhielt er darauf Dividenden. Mit Schreiben vom 30.10.2000 beantragten die Kläger des Ausgangsverfahrens beim FA eine Steuergutschrift i.H.v. 3/7 dieser Dividenden, die auf die für H. Meilicke veranlagte ESt angerechnet werden sollte.
Das FA lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass nur die KSt, die eine in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft belaste, auf die ESt angerechnet werden könne.
Das FG hat auf die anschließende Klage beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen (EFG 2004, 1374).
Entscheidung
Der EuGH hat dem deutschen Gesetzgeber die Europarechtswidrigkeit des KSt-Anrechnungsausschlusses attestiert. Er sah darin einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Der Verstoß greife prinzipiell und nach Maßgabe der rechtlichen (europa- und national-rechtlichen) Rahmenbedingungen unbeschränkt rückwirkend.
Hinweis
1. Nun steht es endgültig und gesichert fest: Das abgeschaffte KSt-Anrechnungsverfahren war europarechtswidrig.
Das wussten spätestens seit dem zu dem mit dem deutschen vergleichbaren finnischen KSt-Anrechnungsystem ergangenen Urteil des EuGH vom 7.9.2004, Rs. C-319/02"Manninen" (BFH-PR 2005, 24) praktisch alle, auch der Gesetzgeber wusste es, war die (drohende) Europarechtswidrigkeit doch einer der drei Gründe (neben der Kompliziertheit sowie der Missbrauchsanfälligkeit des Systems) für die seinerzeitige Abschaffung. Früchte hatte diese frühe Erkenntnis jedoch nicht so recht getragen. Zumindest sah die Finanzverwaltung keinen Grund, von sich aus die Waffen zu strecken. Es bedurfte des nunmehrigen Verdikts aus Luxemburg – wohl in der Hoffnung, der EuGH habe Mitleid und Einsehen und verkürze jedenfalls die zeitlichen Wirkungen seiner etatfeindlichen Botschaften.
Indes: Auch diese Hoffnung ist zerstoben. Der EuGH hatte dieserhalb zwar noch ein weiteres Mal die mündliche Verhandlung vor seinen Schranken wiedereröffnet, im Ergebnis sah er aber keinen Anlass, von den Grundfesten der auch rückwirkenden Wirksamkeit seiner Judikate abzurücken: Das Urteil greift "ex tunc", also im Prinzip (siehe aber auch unten unter 3.) vorbehaltlos rückwirkend.
2. Die materiell-rechtlichen Folgen sind:
- Die Höhe der Anrechnung auf Auslandsdividenden bemisst sich nach dem KSt-Satz im Sitzland der ausschüttenden Kapitalgesellschaft, nicht an dem innerdeutschen Steuersatz. Der Anrechnungsbetrag kann die 3/7 der Bruttodividende also über- wie unterschreiten. Dabei soll der Anrechnungsbetrag offenbar nicht von der tatsächlich im Ausland gezahlten KSt abhängig sein. Wie man hört, will der deutsche Fiskus aber beharrlich Nachweise zur tatsächlichen Vorbelastung abfordern – eine abermalige Europarechtswidrigkeit durch zu hohe Umsetzungshürden?
- Personenkreis: Das EuGH-Urteil betraf unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen. Gleiches muss für juristische Personen sowie für nur beschränkt Steuerpflichtige gelten, und zwar für alle EU- wie EWR-Angehörigen. Bei entsprechenden Betriebsstätteneinkünften droht der "Übergriff" auf Drittstaatenangehörige, sofern das einschlägige DBA eine Diskriminierungsklausel gem. Art. 24 Abs. 3 OECD-MA enthält.
- Drittstaatenangehörige könnten ohnehin Nektar aus dem Urteil saugen, sofern es sich nur um Portfolio- und nicht um mehrheitsvermittelnde Direktinvestitionen handelt. Denn dann greift der Versteinerungsvorbehalt des Art. 57 Abs. 1 EG nicht; der Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit wirkt "over all".
- Es bleibt die spannende Frage danach, ob das besagte EuGH-Verdikt nur die sog. Inbound-Konstellation betrifft oder aber auch die umgekehrte Situation des Outbound-Falls, wenn der (beschränkt steuerpflichtige) Gebietsfremde an der ausschüttenden unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Das KSt-Guthaben wäre in diesem Fall u.U. sogar zu vergüten (vgl. das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 23.11.2004, E 1/04 "Fokus Bank", IStR 2005, 55). Es geht nicht an, auf die Steuerentlastung des Anteilseigners im Ausland zu hoffen.
3. Was die schon erwähnte Konsequenzen der zeitlichen Rückwirkung des EuGH-Urteils anbelangt, ist zu unterscheiden:
a) Zum einen geht es um die Reichweite der "materiellen" Rückwirkung. Diese ist eigentlich unbegrenzt. Zwar hat der EuGH nur einen ...