Leitsatz
Die Art. 56 und 58 EG stehen einer Regelung entgegen, wonach der Anspruch einer in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Person auf eine Steuergutschrift für die Dividenden, die ihr von Aktiengesellschaften gezahlt werden, ausgeschlossen ist, wenn die betreffenden Gesellschaften ihren Sitz nicht in diesem Staat haben.
Normenkette
Art. 56 Abs. 1 EGV , Art. 58 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 EGV
Sachverhalt
Im Fall "Manninen" ging es um einen finnischen Steuerpflichtigen, der an einer schwedischen Kapitalgesellschaft beteiligt war. Er begehrte von den finnischen Steuerbehörden die Anrechnung der in Schweden gezahlten KSt und forderte damit Gleichbehandlung mit den Vorteilen ein, die finnischen Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern widerfahren.
Entscheidung
Der EuGH gab diesem Ansinnen des Herrn Manninen Recht: Die finnische Steuerregelung solle eine Doppelbesteuerung der Gewinne der Gesellschaften dadurch verhindern, dass dem Aktionär, der Dividenden beziehe, eine Steuergutschrift im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft geschuldeten KSt gewährt werde (Rz. 33). Dieses Regelungsziel rechtfertige es nicht, die Dividenden von Gesellschaften mit Sitz in Finnland anders zu behandeln als die Dividenden von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat. Denn die Aktionäre befänden sich insoweit objektiv in der gleichen Besteuerungssituation (Rn. 37 ff.). Auch Gründe der sog. Kohärenz des (hier finnischen) Steuersystems rechtfertigten eine steuerliche Ungleichbehandlung nicht (Rn. 45 ff.), ebenso wenig wie andernfalls drohende Steuerausfälle (Rn. 49 f.).
Hinweis
1. Das alte und mittlerweile (u.a. und nicht zuletzt wegen seiner drohenden Europaparechtswidrigkeit) abgeschaffte körperschaftsteuerliche Anrechnungssystem steht noch einmal im Mittelpunkt des Interesses. Die Mutmaßungen zu jener Europarechtswidrigkeit haben sich bestätigt: Der EuGH hat mit dem Besprechungsurteil soeben das dem (früheren) deutschen ähnliche finnische Steuersystem in den Orkus der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit verstoßen. Auch das ehemalige deutsche Anrechnungssystem wird noch einmal explizit auf dem Prüfstand des EuGH stehen, und zwar qua Vorabentscheidungsersuchen des FG Köln (Beschluss vom 24.6.2004, IStR 2004, 580) sowie jüngst auch des BFH (Beschluss vom 14.7.2004, I R 17/03, in diesem Heft auf S. 21). Jedenfalls aus Sicht des Fiskus ist zu befürchten, dass sich hierbei kein anderes Ergebnis herauskristallisieren wird (weshalb das FG Hamburg, Urteil vom 29.4.2004, IStR 2004, 611, in einer Parallelsituation auf die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verzichtet hat).
2. Für den Berater stellt sich damit die Frage, ob sich aus dem Judikat für seinen Mandanten auch etwas für die Vergangenheit "herausholen" lässt. Soweit und solange die ergangenen Steuerbescheide noch offen sind, bestehen hier keine Zweifel: Es gilt schleunigst einen Änderungsantrag zu stellen und das Anrechnungsbegehren geltend zu machen.
Was aber ist, wenn der ergangene Steuerbescheid schon bestandskräftig ist? Diese Frage wird bereits vielfach diskutiert, vgl. z.B. Balster/Petereit, DStR 2004, 1985; Gosch, DStR 2004, 1988; Hamacher/Hahne, DB 2004, 2386; de Weerth, DStR 2004, 1992. Auch über die Frage der "technischen" Bewältigung einer – im Gesetz ja nicht angelegten – Anrechnung ausländischer KSt ist derzeit so gut wie alles ungewiss. Als augenblicklicher (Zwischen-)Befund lässt sich deshalb wohl (nur) festhalten:
a) Es spricht viel dafür, dass die Anrechnung auch ausländischer KSt nur in Betracht kommen kann, wenn und soweit sie zuvor als Einnahme erfasst worden ist. Dieses Korrespondenzprinzip ergibt sich – allerdings allein für deutsche – KSt explizit aus § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG a.F. und entspricht im Übrigen der Systematik des Anrechnungsverfahrens. Der von Hamacher/Hahne (a.a.O.) gemachte Gegenvorschlag, den Anrechnungsbetrag von der vorherigen Einnahmeerfassung zu lösen und stattdessen um eine fiktive ESt-Belastung zu kürzen, überzeugt nicht.
b)Verfahrensrechtlich bedeutet das, dass zunächst die Bestandskraft des (ESt- oder KSt-)Bescheids durchbrochen werden muss, erst danach jene einer evtl. vorhandenen Anrechnungsverfügung. Für die Durchbrechung der Bestandskraft des Steuerbescheids sind § 173 Abs. 1 Nr.1 und Nr. 2 Buchst. a, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a sowie vielleicht auch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht zu ziehen. Für die Anrechnungsverfügung ist stets und allein § 130 Abs. 1 AO einschlägig.
§ 173 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 Buchst. a AO. Der Umstand, dass vom Steuerpflichtigen bislang nur die ausländische Netto-, nicht aber die Bruttodividende erklärt wurde, dürfte keine neue Tatsache sein, sondern schlicht die Angabe der vereinnahmten Dividende in einer bestimmten Höhe, die wiederum in Einklang mit der (bisherigen) Regelungslage steht. Selbst wenn die Tatsache der bisherigen Nettoerfassung der Kapitalerträge "neu" wä...