Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Strukturfonds. Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Begriff ‚Unregelmäßigkeit’. Verstoß gegen eine Unionsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers. Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Union. Insolvenz des einzigen Geschäftspartners des Begünstigten
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 Art. 2 Nr. 7
Beteiligte
LSEZ SIA „Elme Messer Metalurgs” |
Latvijas Investīciju un attīstības agentūra |
Tenor
Art. 2 Nr. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 539/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Juni 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Situation, in der der Empfänger eines Zuschusses aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung es im relevanten Zeitraum wegen der Insolvenz oder der Unterbrechung der Tätigkeiten seines einzigen Geschäftspartners unterlässt, die Umsatzhöhe zu erreichen, die im Rahmen des zuschussfähigen Vorhabens vorgesehen ist, als „Unregelmäßigkeit” im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rēzeknes tiesa (Gericht erster Instanz Rēzekne, Lettland) mit Entscheidung vom 20. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 2018, in dem Verfahren
LSEZ SIA „Elme Messer Metalurgs”
gegen
Latvijas Investīciju un attīstības agentūra
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der LSEZ SIA „Elme Messer Metalurgs”, vertreten durch L. Rasnačs, advokāts, und E. Petrocka-Petrovska, Juristin,
- der Latvijas Investīciju un attīstības agentūra, vertreten durch A. Pavlovs, A. Šļakota und I. Šate,
- der lettischen Regierung, zunächst vertreten durch V. Kalniņa und I. Kucina, dann durch V. Kalniņa und V. Soņeca als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und J. Očková als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Pardo Quintillán und E. Kalniņš als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. April 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 (ABl. 2006, L 210, S. 25) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 539/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Juni 2010 (ABl. 2010, L 158, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1083/2006).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der LSEZ SIA „Elme Messer Metalurgs” (im Folgenden: EMM) und der Latvijas Investīciju un attīstības agentūra (Lettische Agentur für Investitionen und Entwicklung) (im Folgenden: Agentur) wegen der Kündigung durch Letztere eines mit EMM geschlossenen Vertrags über die Gewährung eines vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) kofinanzierten Zuschusses mit der Begründung, EMM habe schwerwiegende Unregelmäßigkeiten begangen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95
Rz. 3
Im fünften Erwägungsgrund der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312, S. 1) heißt es, dass „[d]ie Verhaltensweisen, die Unregelmäßigkeiten darstellen, sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen … im Einklang mit dieser Verordnung in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen [sind]”.
Rz. 4
Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung lautet:
„Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.”
Rz. 5
Art. 4 der Verordnung sieht v...