Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. Verfahren der Änderung einer Genehmigung. Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit. Begriff ‚wesentliche Änderung’ der Anlage. Verlängerung der Betriebsdauer einer Deponie
Normenkette
Richtlinie 2010/75/EU Art. 3 Nr. 9
Beteiligte
FCC Česká republika, s.r.o |
Ministerstvo životního prostředí |
Tenor
Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) ist dahin auszulegen, dass die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung von Abfällen, ohne dass der genehmigte maximale Umfang der Anlage oder deren Gesamtkapazität geändert wird, keine „wesentliche Änderung” im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 20. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 2021, in dem Verfahren
FCC Česká republika, s.r.o.
gegen
Ministerstvo životního prostředí,
Městská část Ďáblice,
Spolek pro Ďáblice
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu Matei,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Dvořáková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, P. Ondrůšek und C. Valero als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Januar 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. 2010, L 334, S. 17).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der FFC Česká republika, s.r.o. einerseits und dem Ministerstvo životního prostředí (Umweltministerium, Tschechische Republik), der Městská část Praha-Ďáblice (Stadtbezirk Praha-Ďáblice, Tschechische Republik) und dem Spolek pro Ďáblice andererseits über die Entscheidung vom 29. Dezember 2015, mit der die FFC Česká republika erteilte Genehmigung für den Betrieb der Deponie Praha-Ďáblice geändert wurde, um den Zeitraum der Ablagerung vom 31. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2017 zu verlängern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 lautet:
„Um i[m] Einklang mit dem Verursacher- und Vorsorgeprinzip die Umweltverschmutzung durch Industrietätigkeiten zu vermeiden, zu vermindern und so weit wie möglich zu beseitigen, muss ein allgemeiner Rahmen für die Kontrolle der wichtigsten Industrietätigkeiten aufgestellt werden, der vorzugsweise Eingriffe an der Quelle vorsieht, eine umsichtige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen gewährleistet und, sofern erforderlich, der Wirtschaftslage und den lokalen Besonderheiten des Ortes, an dem die Industrietätigkeit erfolgt, Rechnung trägt.”
Rz. 4
Im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 heißt es:
„Um die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung zu gewährleisten, sollte jede Anlage nur mit einer Genehmigung … betrieben werden.”
Rz. 5
Der 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 sieht vor:
„Änderungen einer Anlage können zu einer höheren Umweltverschmutzung führen. Die Betreiber sollten alle geplanten Änderungen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können, der zuständigen Behörde mitteilen müssen. Wesentliche Änderungen von Anlagen, die erhebliche negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben können, sollten nicht ohne eine gemäß dieser Richtlinie erteilte Genehmigung erfolgen dürfen.”
Rz. 6
Der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 bestimmt:
„Gemäß dem Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten [(ABl. 2005, L 124, S. 4), genehmigt mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1)] ist eine effektive Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung notwendig, damit einerseits die Öffentlichkeit Meinungen und Bedenken äußern kann, die für die Entscheidung von Belang sein können, und andererseits die Entscheidungsträger diese Meinungen und Bedenken berücksichtigen können, so dass der Entscheidungsprozess nachvollziehbarer und transparenter wird und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die g...