Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens, Fluggästen, deren Flug annulliert wurde, eine Hotelunterbringung anzubieten. Schaden, der einem Fluggast während seines Aufenthalts in dem die Unterbringung bereitstellenden Hotel entsteht. Möglichkeit, die Haftung des Luftfahrtunternehmens wegen der Fahrlässigkeit des Hotelpersonals geltend zu machen
Normenkette
EGV 261/2004 Art. 5, 9
Beteiligte
Tenor
1. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass die dem Luftfahrtunternehmen nach dieser Vorschrift obliegende Pflicht, den in ihr genannten Fluggästen unentgeltlich eine Hotelunterbringung anzubieten, nicht bedeutet, dass das Luftfahrtunternehmen die Unterbringungsmodalitäten als solche zu übernehmen hat.
2. Die Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen, das nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, eine Hotelunterbringung angeboten hat, nicht auf der alleinigen Grundlage dieser Verordnung verpflichtet sein kann, dem Fluggast die Schäden zu ersetzen, die durch ein Fehlverhalten des Hotelpersonals entstanden sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 17. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2019, in dem Verfahren
NM als Insolvenzverwalterin der NIKI Luftfahrt GmbH
gegen
ON
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von ON, vertreten durch Rechtsanwalt E. Sommeregger,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und E. Lankenau als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Yerrell und G. Braun als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NM als Insolvenzverwalterin der NIKI Luftfahrt GmbH, einer Lufttransportgesellschaft, und ON wegen einer Schadensersatzforderung, die ON zum Ersatz der Schäden geltend macht, die ihr auf dem Gelände eines Hotels entstanden sind, in dem sie von NIKI Luftfahrt infolge der Annullierung ihres Fluges untergebracht worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 2, 13 und 19 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.
…
(13) Fluggäste …, deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten.
…
(19) Die ausführenden Luftfahrtunternehmen sollten den besonderen Bedürfnissen von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen gerecht werden.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor:
„Durch diese Verordnung werden unter den in ihr genannten Bedingungen Mindestrechte für Fluggäste in folgenden Fällen festgelegt:
…
b) Annullierung des Flugs,
…”
Rz. 5
Art. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
i) ‚Person mit eingeschränkter Mobilität’ eine Person, deren Mobilität bei der Benutzung von Beförderungsmitteln aufgrund einer körperlichen Behinderung (sensorischer oder motorischer Art, dauerhaft oder vorübergehend), einer geistigen Beeinträch...