Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren. Anwendungsbereich. Verpflichtung, früheren Verurteilungen, die in anderen Mitgliedstaaten ergangen sind, gleichwertige Rechtswirkungen wie innerstaatlichen Verurteilungen zuzuerkennen. Voraussetzungen. Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Während der Bewährungszeit begangene neue Straftat. Aufhebung der Bewährung und wirksame Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Auswirkung auf die frühere Verurteilung oder Entscheidungen zu ihrer Vollstreckung. Anerkennung von Verurteilungen zum Zweck der Überwachung der Bewährungsmaßnahmen und einer etwaigen Aufhebung der Aussetzung der Vollstreckung

 

Normenkette

Rahmenbeschluss 2008/675/JI Art. 3 Abs. 3, 1 bis 4; Rahmenbeschluss 2008/947/JI Art. 14 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1

 

Beteiligte

QS (Révocation du sursis)

QS

 

Tenor

Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren

ist dahin auszulegen, dass

er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die einem Gericht dieses Mitgliedstaats, das im Rahmen eines neuen, gegen eine Person eingeleiteten Strafverfahrens, gegen die eine rechtskräftige, in einem anderen Mitgliedstaat für einen anderen Sachverhalt ergangene und noch nicht vollständig vollstreckte frühere Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe vorliegt, mit einem Antrag auf Vollstreckung dieser Verurteilung befasst ist, gestatten, die Aussetzung zur Bewährung zu widerrufen und die wirksame Vollstreckung dieser Strafe anzuordnen, vorausgesetzt, dass diese Verurteilung an den Mitgliedstaat, in dem das neue Strafverfahren geführt wird, nach dem Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen übermittelt und von diesem Mitgliedstaat anerkannt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-219/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Rayonen sad Nesebar (Rayongericht Nesebar, Bulgarien) mit Entscheidung vom 25. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2022, in dem Strafverfahren gegen

QS,

Beteiligte:

Rayonna prokuratura Burgas,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin), der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von QS, vertreten durch G. Koleva, Advokat,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. April 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (ABl. 2008, L 220, S. 32).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, mit dem in einem Mitgliedstaat eine rechtskräftige Verurteilung wirksam vollstreckt werden soll, mit der gegen einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in eben diesem anderen Mitgliedstaat eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe verhängt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rahmenbeschluss 2008/675

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2, 5 bis 7 und 14 des Rahmenbeschlusses 2008/675 heißt es:

„(2)      Am 29. November 2000 hat der Rat [der Europäischen Union] entsprechend den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen … angenommen; hierin wird Folgendes vorgesehen: ‚Annahme eines oder mehrerer Rechtsakte, in denen der Grundsatz verankert ist, dass das Gericht eines Mitgliedstaats die in den anderen Mitgliedstaaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in Strafsachen heranziehen können muss, um die strafrechtliche Vergangenheit eines Täters bewerten, eine Rückfälligkeit berücksichtigen und die Art der Strafen und die Einzelheiten des Strafvollzugs entsprechend festlegen zu können‘.

(5)      Als Grundsatz sollte gelten, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilung mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- oder materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden sollte wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland...

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