Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbrauch einer beherrschenden Stellung. Markt für die Verteilung von Massenbriefen. Direktwerbesendungen. System rückwirkender Rabatte. Verdrängungswirkung. Kriterium des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers. Grad der Wahrscheinlichkeit und Schwere einer wettbewerbsschädigenden Wirkung
Normenkette
EG Art. 82
Beteiligte
Tenor
1. Bei der Beurteilung, ob ein von einem Unternehmen in beherrschender Stellung angewandtes Rabattsystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geeignet ist, auf dem Markt eine gegen Art. 82 EG verstoßende Verdrängungswirkung zu entfalten, sind sämtliche Umstände, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, der Umfang der beherrschenden Stellung des betreffenden Unternehmens und die besonderen Wettbewerbsbedingungen auf dem relevanten Markt zu prüfen. Dass dieses Rabattsystem die Mehrheit der Kunden auf dem Markt erfasst, kann einen nützlichen Hinweis auf den Umfang dieser Praxis und ihre Auswirkungen auf den Markt darstellen, der die Wahrscheinlichkeit einer wettbewerbswidrigen Verdrängungswirkung erhöhen kann.
2. Die Anwendung des Kriteriums des „ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers” stellt keine notwendige Voraussetzung dar, um den missbräuchlichen Charakter eines Rabattsystems im Hinblick auf Art. 82 EG festzustellen. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist die Anwendung des Kriteriums des „ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers” nicht sachgerecht.
3. Art. 82 EG ist dahin auszulegen, dass die wettbewerbsschädigende Wirkung eines von einem Unternehmen in beherrschender Stellung angewandten Rabattsystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fällt, wenn sie wahrscheinlich ist, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass sie schwerwiegend oder bedeutend ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sø- og Handelsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 8. Januar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2014, in dem Verfahren
Post Danmark A/S
gegen
Konkurrencerådet,
Beteiligte:
Bring Citymail Danmark A/S,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter) und C. Lycourgos,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- der Post Danmark A/S, vertreten durch S. Zinck, advokat, und Rechtsanwalt T. Lübbig,
- der Bring Citymail Danmark A/S, vertreten durch P. Jakobsen, advokat,
- der dänischen Regierung, vertreten durch M. Wolff als Bevollmächtigte im Beistand von J. Pinborg, advokat,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, L. Malferrari und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis, M. Schneider und M. Moustakali als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Mai 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 82 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Post Danmark A/S (im Folgenden: Post Danmark) und dem Konkurrenceråd (Wettbewerbsrat) über ein von Post Danmark in den Jahren 2007 und 2008 auf als Massenbriefe verteilte Direktwerbesendungen angewandtes System rückwirkender Rabatte.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 3
Im für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum, d. h. in den Jahren 2007 und 2008, wurde Post Danmark vom dänischen Staat kontrolliert und unterlag einer postalischen Universaldienstverpflichtung für innerhalb eines Tages im gesamten dänischen Staatsgebiet zuzustellende Briefe und Pakete, einschließlich Massensendungen, mit einem Gewicht von weniger als 2 kg. Post Danmark war verpflichtet, ein Tarifsystem anzuwenden, nach dem die Preise für die unter die Universaldienstverpflichtung fallenden Dienstleistungen unabhängig vom Bestimmungsort nicht voneinander abweichen durften.
Rz. 4
Als Ausgleich für die Universaldienstverpflichtung und das Einheitstarifsystem, denen Post Danmark unterlag, verfügte diese über ein gesetzliches Monopol für Briefsendungen mit einem Gewicht von maximal 50 g, worunter im Rahmen von Massenbriefsendungen auch Direktwerbesendungen fielen.
Rz. 5
Direktwerbesendungen sind ein Segment des Marktes für Massenbriefsendungen. Es handelt sich dabei um im Rahmen von Marketingkampagnen versandte Werbesendungen mit einheitlichem Inhalt, die mit der Anschrift des Empfängers versehen sind.
Rz. 6
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Post Danmark 2003 ein Rabattsystem für Direktwerbesendungen einführte, als auf dem Markt für die Verteilung von Mas...