Entscheidungsstichwort (Thema)
Kfz-Steuer, Sondersteuer auf Pkw, Rumänien, Unvereinbarkeit einer Sondersteuer auf Pkw mit Unionsrecht, Äquivalenzgrundsatz, Grundsatz der Effektivität
Leitsatz (amtlich)
Das Unionsrecht ‐ insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität ‐ ist dahin auszulegen, dass es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dem nicht entgegensteht, dass ein nationales Gericht keine Möglichkeit zur Wiederaufnahme bezüglich einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung hat, die im Rahmen einer Klage zivilrechtlicher Natur ergangen ist, wenn sich diese Entscheidung als unvereinbar mit einer Auslegung des Unionsrechts erweist, die der Gerichtshof der Europäischen Union nach dem Zeitpunkt vorgenommen hat, zu dem die genannte Entscheidung rechtskräftig geworden ist, während bei rechtskräftigen, mit dem Unionsrecht unvereinbaren gerichtlichen Entscheidungen, die im Rahmen von Klagen verwaltungsrechtlicher Natur ergangen sind, eine solche Möglichkeit besteht.
Normenkette
Unionsrecht
Beteiligte
Serviciul public comunitar regim permise de conducere si înmatriculare a autovehiculelor |
Verfahrensgang
Tribunal Sibiu (Rumänien) (Beschluss vom 16.01.2014; ABl. EU 2014, Nr. C 142/15) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität ‐ Rechtskraft ‐ Rückforderung zu viel gezahlter Beträge ‐ Erstattung der von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuern ‐ Rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, mit der die Zahlung einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren Steuer auferlegt wird ‐ Antrag auf Wiederaufnahme bezüglich einer solchen gerichtlichen Entscheidung ‐ Nationale Rechtsvorschriften, die die Wiederaufnahme im Hinblick auf in Vorabentscheidungsverfahren ergangene spätere Urteile des Gerichtshofs ausschließlich für in Verwaltungssachen ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen ermöglichen“
In der Rechtssache C-69/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu, Rumänien) mit Entscheidung vom 16. Januar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2014, in dem Verfahren
DragosConstantin Târsia
gegen
Statul român,
Serviciul public comunitar regim permise de conducere si înmatriculare a autovehiculelor
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), L. Bay Larsen, T. von Danwitz, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot, des Richters A. Arabadjiev, der Richterinnen C. Toader, M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn Târsia, vertreten durch sich selbst,
‐ der rumänischen Regierung, vertreten durch R. Radu, V. Angelescu und D. Bulancea als Bevollmächtigte,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, B. Czech und K. Pawłowska als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und G.-D. Bălan als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. April 2015
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 110 AEUV, von Art. 6 EUV, der Art. 17, 20, 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Târşia auf der einen und dem Statul român (rumänischer Staat), vertreten durch das Ministerul Finanţelor şi Economiei (Ministerium für Finanzen und Wirtschaft), sowie dem Serviciul public comunitar regim permise de conducere şi înmatriculare a autovehiculelor (Amt für öffentliche Angelegenheiten, Referat Fahrerlaubnisse und Fahrzeugzulassungen) auf der anderen Seite wegen eines Antrags auf Wiederaufnahme bezüglich einer rechtskräftigen Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der Herrn Târşia die Zahlung einer Steuer auferlegt wurde, die später für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt wurde.
Rumänisches Recht
Rz. 3
Art. 21 des Gesetzes Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren (Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004) vom 2. Dezember 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004, im Folgenden: Gesetz über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) in der zum Zeitpunkt der Stellung des Wiederaufnahmeantrags geltenden Fassung sah vor:
„(1) Gegen rechtskräftige und unwiderrufliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sind die nach der Zivilprozessordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe statthaft.
(2) Die Verkündung rechtskräftiger und unwiderruflicher Entscheidungen unter Verstoß gegen den in Art. 148 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 der neu bekannt gemachten Verfassung Rumäniens...