Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Bauaufträge. Schwellenwerte für öffentliche Aufträge. Nicht erreichter Schwellenwert. Ungewöhnlich niedrige Angebote. Automatischer Ausschluss. Befugnis des öffentlichen Auftraggebers. Pflichten des öffentlichen Auftraggebers, die sich aus der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie dem allgemeinen Diskriminierungsverbot ergeben. Auftrag, an dem ein grenzüberschreitendes Interesse bestehen kann
Normenkette
Richtlinie 2004/18/EG Art. 7 Buchst. C
Beteiligte
Tenor
Das Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Verwaltungsgericht der Region Piemont, Italien) vom 29. April 2015 ist unzulässig.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Regionales Verwaltungsgericht Piemont, Italien) mit Entscheidung vom 29. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2015, in dem Verfahren
Tecnoedi Costruzioni Srl
gegen
Comune di Fossano,
Beteiligte:
Ge.Co. Italia SpA,
Niccoli Costruzioni Srl,
Selva Mercurio Srl,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und A. Tokár als Bevollmächtigte,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV über die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit sowie der allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tecnoedi Costruzioni Srl und der Comune di Fossano (Gemeinde Fossano, Italien) über die Ordnungsmäßigkeit der endgültigen Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags an die Ge.Co. Italia SpA durch diese Gemeinde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) heißt es:
„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im [AEU-]Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz.”
Rz. 4
Gemäß Art. 7 „Schwellenwerte für öffentliche Aufträge”) Buchst. c der Richtlinie 2004/18 in der Fassung der zeitlich auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30. November 2011 (ABl. 2011, L 319, S. 43) gilt die Richtlinie für öffentliche Bauaufträge, deren geschätzter Wert netto ohne Mehrwertsteuer den Schwellenwert von 5 000 000 Euro erreicht oder überschreitet.
Italienisches Recht
Rz. 5
Art. 122 „Spezifische Regelung für unter dem Schwellenwert liegende öffentliche Bauaufträge”) Abs. 9 des Decreto legislativo (Gesetzesvertretendes Dekret) Nr. 163/2006 vom 12. April 2006, Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006), bestimmt:
„Werden Bauleistungen mit einem Wert unter oder gleich 1 Million Euro nach dem Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises vergeben, kann die Vergabestelle in der Bekanntmachung vorsehen, dass Angebote, die einen prozentuellen Preisabschlag aufweisen, der die nach Artikel 86 ermittelte Grenze der Unauskömmlichkeit erreicht oder überschreitet, von der Ausschreibung automatisch ausgeschlossen werden; in diesem Fall findet Artikel 87 Absatz 1 keine Anwendung. Auf jeden Fall darf der automatische Ausschluss bei weniger als zehn zugelassenen Angeboten nicht vorgenommen werden; in diesem Fall ist Artikel 86 Absatz 3 anzuwenden.”
Rz. 6
Art. 86 Abs. 3 des Decreto legislativo lautet:
„In jedem Fall können die Vergabestellen die Angemessenheit jedes anderen Angebots bewerten, das auf der Grundlage spezifischer Elemente ungewöhnlich nie...