Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Bauaufträge. Vergabeverfahren. Ungewöhnlich niedrige Angebote. Modalitäten des Ausschlusses. Bauaufträge mit einem Auftragswert unterhalb der in den Richtlinien 93/37 EWG und 2004/18/EG vorgesehenen Schwellenwerte. Pflichten des öffentlichen Auftraggebers, die sich aus den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergeben
Beteiligte
Tenor
Die grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot stehen einer nationalen Regelung entgegen, die bei Aufträgen, deren Wert unter dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 geänderten Fassung festgelegten Schwellenwert liegt und an denen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, den öffentlichen Auftraggeber im Fall von mehr als fünf gültigen Angeboten zwingt, solche Angebote, die in Anwendung eines in dieser Regelung vorgesehenen mathematischen Kriteriums als ungewöhnlich niedrig im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung angesehen werden, automatisch auszuschließen, ohne dem Auftraggeber die Möglichkeit zu lassen, die Bestandteile dieser Angebote zu überprüfen, indem er die betroffenen Bieter zu entsprechenden Erläuterungen auffordert. Das gilt nicht, wenn eine nationale oder eine örtliche Regelung oder der betreffende öffentliche Auftraggeber für den Fall einer übermäßig hohen Zahl von Angeboten, die den Auftraggeber zwingen würde, so viele Angebote einer kontradiktorischen Prüfung zu unterziehen, dass dies seine administrativen Möglichkeiten übersteigen oder durch die Verzögerung, die durch diese Prüfung einträte, die Verwirklichung des Projekts gefährden würde, einen angemessenen Schwellenwert festlegt, bei dessen Überschreiten ungewöhnlich niedrige Angebote automatisch ausgeschlossen sind.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidungen vom 25. Oktober 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2006, in den Verfahren
SECAP SpA (C-147/06),
gegen
Comune di Torino,
Beteiligte:
Tecnoimprese Srl,
Gambarana Impianti Snc,
ICA Srl,
Cosmat Srl,
Consorzio Ravennate,
ARCAS SpA,
Regione Piemonte,
und
Santorso Soc. coop. arl (C-148/06)
gegen
Comune di Torino,
Beteiligte:
Bresciani Bruno Srl,
Azienda Agricola Tekno Green Srl,
Borio Giacomo Srl,
Costrade Srl,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Achten Kammer G. Arestis in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SECAP SpA, vertreten durch F. Videtta, avvocato,
- der Santorso Soc. coop. arl, vertreten durch B. Amadio, L. Fumarola und S. Bonatti, avvocati,
- der Comune di Torino, vertreten durch M. Caldo, A. Arnone und M. Colarizi, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo und F. Arena, avvocati dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und P. van Ginneken als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. November 2007
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 (ABl. L 328, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/37) und der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts über die Vergabe öffentlicher Aufträge.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der SECAP SpA (im Folgenden: SECAP) bzw. Santorso Soc. coop. arl (im Folgenden: Santorso) und der Comune di Torino wegen der Frage, ob eine italienische Rechtsvorschrift, die...