Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Zuständigkeit des Gerichtshofs. Recht auf Familienzusammenführung. Nichteinhaltung der Dreimonatsfrist nach Gewährung internationalen Schutzes. Subsidiär Schutzberechtigter. Ablehnung eines Visumantrags

 

Normenkette

Richtlinie 2003/86/EG Art. 12

 

Beteiligte

K und B

K

B

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

 

Tenor

1. In einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in dem das vorlegende Gericht über das Recht eines subsidiär Schutzberechtigten auf Familienzusammenführung zu entscheiden hat, ist der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV für die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung zuständig, wenn diese Vorschrift durch das nationale Recht für auf solche Fälle unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt worden ist.

2. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 steht einer nationalen Regelung, nach der ein Antrag auf Familienzusammenführung, der für einen Familienangehörigen eines Flüchtlings gemäß den für Flüchtlinge geltenden günstigeren Bestimmungen des Kapitels V dieser Richtlinie gestellt wurde, abgelehnt werden kann, weil er mehr als drei Monate, nachdem dem Zusammenführenden der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war, gestellt wurde, die jedoch die Möglichkeit bietet, im Rahmen einer anderen Regelung einen neuen Antrag zu stellen, nicht entgegen, sofern diese Regelung

  • vorsieht, dass ein solcher Ablehnungsgrund in Fällen unzulässig ist, in denen die verspätete Stellung des ersten Antrags aufgrund besonderer Umstände objektiv entschuldbar ist,
  • vorsieht, dass die betroffenen Personen in vollem Umfang über die Folgen der Entscheidung zur Ablehnung ihres ersten Antrags und die Maßnahmen, die sie zu ergreifen haben, um ihr Recht auf Familienzusammenführung wirksam geltend zu machen, informiert werden, und
  • garantiert, dass als Flüchtling anerkannten Zusammenführenden weiterhin die für Flüchtlinge geltenden günstigeren Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung zugutekommen, die in den Art. 10 und 11 bzw. in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie genannt sind.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 21. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2017, in dem Verfahren

K,

B

gegen

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

  • von K und B, vertreten durch C. J. Ullersma und M. L. van Leer, advocaten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Drittstaatsangehörigen K bzw. B und dem Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande, im Folgenden: Staatssekretär) wegen dessen Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Visums für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten im Rahmen einer Familienzusammenführung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/86

Rz. 3

Der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86 lautet:

„Der Lage von Flüchtlingen sollte wegen der Gründe, die sie zur Flucht gezwungen haben und sie daran hindern, ein normales Familienleben zu führen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Deshalb sollten günstigere Bedingungen für die Ausübung ihres Rechts auf Familienzusammenführung vorgesehen werden.”

Rz. 4

In Art. 3 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie heißt es:

„Diese Richtlinie findet keine Anwendung, wenn

c) dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Praktiken der Mitgliedstaaten genehmigt wurde oder er um die Genehmigung des Aufenthalts aus diesem Grunde nachsucht und über seinen Status noch nicht entschieden wurde.”

Rz. 5

In Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie sind die Familienangehörigen des Zusammenführenden aufgeführt, denen die Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie die Einreise und den Aufenthalt gestatten.

Rz. 6

Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 200...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge