Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Wettbewerb. Kartelle. Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk. Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften. Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses. Begründungspflicht. Schwere der Zuwiderhandlung. Multiplikator aus Gründen der Abschreckung. Konkrete Auswirkungen auf den Markt. Erschwerende Umstände. Wiederholungsfall
Beteiligte
Tenor
1. Das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.
2. Die Eni SpA trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel.
3. Die Europäische Kommission trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Anschlussrechtsmittel.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 24. September 2011,
Eni SpA mit Sitz in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigte: G. M. Roberti und I. Perego, avvocati,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, G. Conte und L. Malferrari als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Eni SpA (im Folgenden: Eni oder Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Eni/Kommission (T-39/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Eni betrifft, und, hilfsweise, auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.
Rz. 2
Die Europäische Kommission hat ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls für nichtig erklärt und dementsprechend die Geldbuße herabgesetzt worden ist.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung
Rz. 3
Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) betreffend den Markt für Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR), synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte u. a. an Eni, an deren 100%ige Tochtergesellschaft Polimeri Europa SpA (jetzt Versalis SpA, im Folgenden: Versalis) und an die Syndial SpA (vormals EniChem SpA, im Folgenden: Syndial), eine weitere Gesellschaft des Eni-Konzerns.
Rz. 4
Am 6. April 2006 erließ die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte. Nachdem sie am 22. Juni 2006 eine Anhörung durchgeführt hatte, beschloss die Kommission, das Verfahren u. a. gegen Syndial einzustellen.
Rz. 5
Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung. Nach Art. 1 dieser Entscheidung hatten Eni, Versalis und die übrigen Unternehmen, die Adressaten der streitigen Entscheidung waren, nämlich die Bayer AG, The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH, Dow Europe, die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV, die Shell Nederland Chemie BV, die Unipetrol a.s., die Kaucuk a.s. und die Trade-Stomil sp. z o.o. gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie – was Eni betrifft, in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 – an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festgelegt, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor ausgetauscht hatten.
Rz. 6
Nach den Erwägungsgründen 26 ff. der streitigen Entscheidung wurde in diesem Zeitraum der Geschäftsbereich für die fraglichen Produkte im Eni-Konzern ursprünglich von der EniChem Elastomeri srl geführt (im Folgenden: EniChem Elastomeri), einer Gesellschaft, die von Eni mittelbar durch ihre Tochterges...