Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen. Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung. Anerkennung in einem Rechtsstreit vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats. Wirkungen dieser Entscheidung im Ursprungsstaat. Zulässigkeit einer Klage, die im Anerkennungsmitgliedstaat erhoben wird, nachdem die genannte Entscheidung ergangen ist. Nationale Verfahrensvorschriften, die eine Bündelung der Anträge in nur einem Verfahren vorschreiben
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 33, 36
Beteiligte
Tenor
Art. 33 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Verbindung mit Art. 36 dieser Verordnung
ist dahin auszulegen, dass
er dem entgegensteht, dass die Anerkennung einer Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat zu einem Arbeitsvertrag ergangen ist, im Anerkennungsmitgliedstaat zur Unzulässigkeit der bei einem seiner Gerichte gestellten Anträge führt, weil das Recht des Ursprungsmitgliedstaats eine Verfahrensvorschrift vorsieht, nach der alle Anträge, die diesen Arbeitsvertrag betreffen, zu bündeln sind; dies gilt unbeschadet etwaiger nach erfolgter Anerkennung zur Anwendung kommender Verfahrensvorschriften des Anerkennungsmitgliedstaats.
Tatbestand
In der Rechtssache C-567/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 8. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 15. September 2021, in dem Verfahren
BNP Paribas SA
gegen
TR
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der BNP Paribas SA, vertreten durch V. Bringer, N. Coutrelis und M. Lévis, Avocats,
- – von TR, vertreten durch A. Lyon-Caen, T. Lyon-Caen und F. Thiriez, Avocats,
- – der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- – der schweizerischen Regierung, vertreten durch N. Marville-Dosen und J. Schickel-Küng als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und W. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Februar 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 33 und 36 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BNP Paribas SA und TR wegen dessen Entlassung, die Gegenstand einer Entscheidung eines englischen Gerichts war, deren Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer später vor den französischen Gerichten erhobenen Klage streitig sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 6, 16 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:
„(2) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen.
…
(6) Um den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu gewährleisten, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Gemeinschaftsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist.
…
(16) Das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Gemeinschaft rechtfertigt, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, außer im Falle der Anfechtung, von Rechts wegen, ohne ein besonderes Verfahren, anerkannt werden.
….
(19) Um die Kontinuität zwischen dem [Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen [dieses] Übereinkommens durch den Gerichtshof …“
Rz. 4
Der zu Abschnitt 1 („Anerkennung“) von Kapitel III („Anerkennung und Volls...