Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Niederlassungsfreiheit. Glücksspiel. Beschränkungen. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Verhältnismäßigkeit. Öffentliche Aufträge. Bedingungen für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren und Beurteilung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit. Ausschluss eines Bieters wegen fehlender Vorlage von Bescheinigungen über seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit von zwei verschiedenen Kreditinstituten. Anwendbarkeit der Richtlinie

 

Normenkette

AEUV Art. 49; Richtlinie 2004/18/EG Art. 47

 

Beteiligte

Politanò

Domenico Politanò

 

Tenor

1. Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, insbesondere Art. 47, ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung über die Erteilung von Konzessionen im Glücksspielbereich wie die im Ausgangsverfahren fragliche nicht in ihren Anwendungsbereich fällt.

2. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der Wirtschaftsteilnehmer, die an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionen im Bereich Glücksspiele und Wetten teilnehmen wollen, ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit anhand von Bescheinigungen von mindestens zwei Kreditinstituten nachweisen müssen, ohne dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt würde, diesen Nachweis durch einen anderen Beleg zu erbringen, dann nicht entgegensteht, wenn diese Bestimmung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Reggio Calabria (Amtsgericht Reggio Calabria, Italien) mit Entscheidung vom 28. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2015, in dem Strafverfahren gegen

Domenico Politanò

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von D. Politanò, vertreten durch D. Neto und D. Agnello, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte, im Beistand von P. Vlaemminck, R. Verbeke und B. Van Vooren, advocaten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti, H. Tserepa-Lacombe und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juni 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV, der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Effektivität sowie von Art. 47 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Politanò wegen Verstoßes gegen italienische Rechtsvorschriften über die Annahme von Wetten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 1 Abs. 2 Buchst a und d sowie Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 bestimmten:

„(2) a) ‚Öffentliche Aufträge’ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.

d) ‚Öffentliche Dienstleistungsaufträge’ sind öffentliche Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang II, die keine öffentlichen Bau- oder Lieferaufträge sind.

(4) ‚Dienstleistungskonzessionen’ sind Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.”

Rz. 4

Art. 17 „Dienstleistungskonzessionen”) dieser Richtlinie sah vor:

„Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 3 gilt diese Richtlinie nicht für Dienstleistungskonzessionen gemäß Artikel 1 Absatz 4.”

Rz. 5

Art. 47 „Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit”) der Richtlinie lautete:

„(1) Die finanzielle und wirtschaftliche Leistu...

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