Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Zollunion. Zollkodex der Union. Ort des Entstehens der Zollschuld. Mehrwertsteuer. Steuertatbestand und Steueranspruch der Einfuhrmehrwertsteuer. Ort des Entstehens der Steuerschuld. Feststellung der Nichterfüllung einer in den unionsrechtlichen Zollvorschriften aufgestellten Verpflichtung. Bestimmung des Ortes der Einfuhr der Gegenstände. In einem Drittland zugelassenes Transportmittel, das unter Verstoß gegen das Zollrecht in die Europäische Union verbracht wird
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 30
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie (EU) 2018/2057 des Rates vom 20. Dezember 2018 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugs, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Europäische Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug tatsächlich nutzt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 2021, in dem Verfahren
R. T.
gegen
Hauptzollamt Hamburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von R. T., vertreten durch die Rechtsanwältin Y. Özkan und den Rechtsanwalt U. Schrömbges,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, J. Jokubauskaite und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/2057 des Rates vom 20. Dezember 2018 (ABl. 2018, L 329, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen R. T. und dem Hauptzollamt Hamburg (Deutschland, im Folgenden: HZA) wegen der Erhebung von Einfuhrmehrwertsteuer auf ein Fahrzeug, das unter Verstoß gegen das Zollrecht in das Gebiet der Europäischen Union verbracht wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Rz. 3
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 unterliegen u. a. folgende Umsätze der Mehrwertsteuer:
„…
d) die Einfuhr von Gegenständen”.
Rz. 4
Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Einfuhr eines Gegenstands’ gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft.”
Rz. 5
Der zu Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes”) Kapitel 4 („Ort der Einfuhr von Gegenständen”) gehörende Art. 60 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.”
Rz. 6
Der in Titel VI („Steuertatbestand und Steueranspruch”) Kapitel 4 („Einfuhr von Gegenständen”) der Richtlinie 2006/112 enthaltene Art. 71 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, … treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.
(2) In den Fällen, in denen die eingeführten Gegenstände keiner der Abgaben im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 2 unterliegen, wenden die Mitgliedstaaten in Bezug auf Steuertatbestand und Steueranspruch die für Zölle geltenden Vorschriften an.”
Zollkodex
Rz. 7
In Art. 79 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) heißt es:
„Für einfuhrabgabenpflichtige Waren entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn Folgendes nicht erfüllt...