Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Inhaftnahme Drittstaatsangehöriger. Grundrecht auf Freiheit. Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft. Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft. Prüfung von Amts wegen. Grundrecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz
Normenkette
Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 6; Richtlinie 2008/115/EG Art. 15; Richtlinie 2013/33/EU Art. 9; Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 28; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid |
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid |
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid |
Tenor
Art. 15 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, Art. 9 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, sowie Art. 28 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
sind dahin auszulegen, dass
eine Justizbehörde im Rahmen ihrer Kontrolle, ob die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme eines Drittstaatsangehörigen beachtet wurden, anhand der ihr zur Kenntnis gebrachten Umstände des Falles, wie sie im bei ihr anhängigen kontradiktorischen Verfahren ergänzt oder aufgeklärt wurden, von Amts wegen zu prüfen hat, ob eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung missachtet wurde, auf die sich die betroffene Person nicht berufen hat.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) und der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats's-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort 's-Hertogenbosch, Niederlande), mit Entscheidungen vom 23. Dezember 2020 bzw. 26. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 2020 bzw. 26. Januar 2021, in den Verfahren
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid
gegen
C,
B (C-704/20),
und
X
gegen
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (C-39/21)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, C. Lycourgos (Berichterstatter) und E. Regan, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen, N. Wahl, M. Gavalec und Z. Csehi sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von C und B, vertreten durch P. H. Hillen, Advocaat,
- von X, vertreten durch C. F. Wassenaar, Advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und P. Huurnink als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Juni 2022,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98), der Art. 9 und 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013 L 180, S. 96) sowie der Art. 6 und 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31) in Verbindung mit den Art. 6, 24 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Drittstaatsangehörigen B, C und X und dem Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Staatssekretär für Justiz und Sicherheit, Niederlande, im Folgenden: Staatssecretaris) über die Re...