Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Verbraucherkredit. Vereinbarungen über einen neuen Tilgungsplan. Unentgeltliche Stundung. Kreditvermittler. Im Namen der Kreditgeber handelnde Inkassounternehmen
Normenkette
Richtlinie 2008/48/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. j, Art. 3 Buchst. f
Beteiligte
Verein für Konsumenteninformation |
Tenor
1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. j der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass eine Vereinbarung über einen neuen Tilgungsplan, die über ein Inkassobüro zwischen einem Kreditgeber und einem säumigen Verbraucher geschlossen wird, nicht „unentgeltlich” im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn sich der Verbraucher darin verpflichtet, den Gesamtbetrag des Kredits zu zahlen sowie Zinsen und Kosten, die im ursprünglichen Vertrag über die Gewährung des Kredits nicht vorgesehen waren.
2. Art. 3 Buchst. f und Art. 7 der Richtlinie 2008/48 sind dahin auszulegen, dass ein Inkassobüro, das für einen nicht getilgten Kredit im Namen des Kreditgebers einen neuen Tilgungsplan vereinbart, aber nur in untergeordneter Funktion als Kreditvermittler beteiligt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, als „Kreditvermittler” im Sinne von Art. 3 Buchst. f anzusehen ist und nicht der in den Art. 5 und 6 der Richtlinie aufgestellten Verpflichtung unterliegt, dem Verbraucher vorvertragliche Informationen zu erteilen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 17. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2015, in dem Verfahren
Verein für Konsumenteninformation
gegen
INKO, Inkasso GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Vereins für Konsumenteninformation, vertreten durch Rechtsanwalt S. Langer,
- der INKO, Inkasso GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. Rabl,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann, J. Kemper und D. Kuon als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
- der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis, D. Kriaučiūnas und J. Nasutavičienė als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und G. Goddin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Juli 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. j und Art. 3 Buchst. f der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, Berichtigungen: ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verein für Konsumenteninformation und der INKO, Inkasso GmbH (im Folgenden: INKO) wegen deren Praxis, mit Verbrauchern, denen keine vorvertraglichen Informationen gegeben wurden, neue Tilgungspläne mit Zahlungsaufschüben zu vereinbaren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/48 heißt es:
„Der Verbraucher muss vor dem Abschluss des Kreditvertrags umfassend informiert werden, und zwar unabhängig davon, ob ein Kreditvermittler am Absatz des Kredits beteiligt ist. Deshalb sollten die Anforderungen an die vorvertragliche Information generell auch für Kreditvermittler gelten. Wenn jedoch der Warenlieferant und der Dienstleistungserbringer nur in untergeordneter Funktion als Kreditvermittler tätig werden, ist es nicht gerechtfertigt, ihnen die rechtliche Verpflichtung aufzuerlegen, die vorvertraglichen Informationen gemäß dieser Richtlinie zu erteilen. Der Warenlieferant und der Dienstleistungserbringer können beispielsweise als Kreditvermittler in untergeordneter Funktion angesehen werden, wenn ihre Tätigkeit als Kreditvermittler nicht der Hauptzweck ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ist. In diesen Fällen ist dennoch ein ausreichend hohes Verbraucherschutzniveau erreicht, da der Kreditgeber dafür sorgen muss, dass der Verbraucher alle vorvertraglichen Informationen erhält, und zwar entweder von dem Kreditvermittler, wenn der Kreditgeber und der Kreditvermittler dies so vereinbaren, oder auf eine andere geeignete Weise.”
Rz. 4
Art. 2 „Geltungsbereich”) der Richtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Kreditverträge.
(2) Diese Richtlinie gilt nicht für:
…
f) zins- und gebührenfreie Kredit...