Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsklage. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Arbeitnehmern. Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Entlohnung. Entsendungsdauer. Bestimmung der Rechtsgrundlage. Änderung einer bestehenden Richtlinie. Missbrauch von Befugnissen. Diskriminierungsverbot. Erforderlichkeit. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Reichweite des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs. Straßenverkehr. Anwendungsbereich. Grundsätze der Rechtssicherheit und der Normenklarheit
Normenkette
Richtlinie (EU) 2018/957; Verordnung (EG) Nr. 593/2008; AEUV Art. 58, 9, 53, 62
Beteiligte
Ungarn/ Parlament und Rat |
Rat der Europäischen Union |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Ungarn trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union.
3. Die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, das Königreich Schweden und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 2. Oktober 2018,
Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Tornyai und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,
Kläger,
gegen
Europäisches Parlament, vertreten durch M. Martínez Iglesias, L. Visaggio und A. Tamás als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
Französische Republik, vertreten durch E. de Moustier, A.-L. Desjonquères, C. Mosser und R. Coesme als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman, C. Schillemans und J. Langer als Bevollmächtigte,
Europäische Kommission, vertreten durch L. Havas, M. Kellerbauer, B.-R. Killmann und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
Streithelferinnen,
Rat der Europäischen Union, zunächst vertreten durch A. Norberg, M. Bencze und E. Ambrosini, dann durch A. Norberg, E. Ambrosini, A. Sikora-Kalėda und Zs. Bodnár als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
Französische Republik, vertreten durch E. de Moustier, A.-L. Desjonquères, C. Mosser und R. Coesme als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman, C. Schillemans und J. Langer als Bevollmächtigte,
Königreich Schweden, vertreten durch C. Meyer-Seitz, H. Shev und H. Eklinder als Bevollmächtigte,
Europäische Kommission, vertreten durch L. Havas, M. Kellerbauer, B.-R. Killmann und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
Streithelferinnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, M. Vilaras (Berichterstatter), E. Regan, M. Ilešič und N. Wahl, der Richter E. Juhász, D. Šváby, S. Rodin, F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, P. G. Xuereb und N. Jääskinen,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2020,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Mai 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit seiner Klage beantragt Ungarn, die Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 2018, L 173, S. 16, berichtigt im ABl. 2019, L 91, S. 77) (im Folgenden: angefochtene Richtlinie) für nichtig zu erklären, hilfsweise, mehrere ihrer Bestimmungen für nichtig zu erklären.
Rechtlicher Rahmen
AEU-Vertrag
Rz. 2
Art. 9 AEUV lautet:
„Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung.”
Rz. 3
Art. 53 AEUV bestimmt:
„(1) Um die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlassen das Europäische Parlament und der Rat [der Europäischen Union] gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie für die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten.
(2) Die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für die ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe setzt die Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung dieser Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus.”
Rz. 4
Art. 58 Abs. 1 AEUV sieht vor:
„Für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs gelten die Bestimmungen des Titels über den Verkehr.”
Rz. 5
Art. 62...