Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Möglichkeit für das vorlegende Gericht, das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs zu berücksichtigen. Erforderlichkeit der erbetenen Auslegung, damit das vorlegende Gericht sein Urteil erlassen kann. Richterliche Unabhängigkeit. Bedingungen der Ernennung von Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Möglichkeit der Anfechtung eines Beschlusses, mit dem rechtskräftig über einen Antrag auf Erlass von Sicherungsmaßnahmen entschieden wurde. Möglichkeit des Ausschlusses eines Richters von einem Spruchkörper. Unzulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen
Normenkette
AEUV Art. 267
Beteiligte
G. (Nomination des juges de droit commun en Pologne) |
Tenor
Die vom Sąd Okręgowy w Katowicach (Regionalgericht Katowice, Polen) mit Entscheidung vom 18. März 2021 und vom Sąd Okręgowy w Krakowie (Regionalgericht Kraków, Polen) mit Entscheidung vom 31. März 2021 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen sind unzulässig.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen C-181/21 und C-269/21
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Katowicach (Regionalgericht Katowice [Kattowitz], Polen) und vom Sąd Okręgowy w Krakowie (Regionalgericht Kraków [Krakau], Polen) mit Entscheidungen vom 18. März 2021 und vom 31. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 2021 und am 27. April 2021, in den Verfahren
G.
gegen
M. S.(C-181/21),
Beteiligte:
Rzecznik Praw Obywatelskich,
Prokuratura Okręgowa w Katowicach,
und
BC,
DC
gegen
X(C-269/21),
Beteiligte:
Rzecznik Praw Obywatelskich,
Prokuratura Okręgowa w Krakowie,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan, N. Piçarra und Z. Csehi, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters M. Ilešič, der Richterin L. S. Rossi, der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), A. Kumin und N. Jääskinen, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Prokuratura Okręgowa w Katowicach und der Prokuratura Okręgowa w Krakowie, vertreten durch R. Babiński, S. Bańko, A. Reczka, B. Szyprowski und E. Tkaczewska-Kuk,
- – des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch M. Taborowski, V. Vachev und M. Wróblewski,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, K. Straś und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch J. F. Kronborg und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. M. de Ree und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Dezember 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2, Art. 6 Abs. 1 bis 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Sie ergehen in einem Rechtsstreit zwischen einer privaten Gesellschaft und einem Verbraucher wegen einer Forderung aus einem Kreditvertrag (Rechtssache C-181/21) bzw. in einem Rechtsstreit zwischen Verbrauchern und einer Bank wegen einer Forderung und einem Antrag auf Aufhebung eines auf eine ausländische Währung lautenden Kreditvertrags (C-269/21).
Rechtlicher Rahmen
Verfassung
Rz. 3
In Art. 179 der Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen, im Folgenden: Verfassung) heißt es:
„Die Richter werden vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der Krajowa Rada Sądownictwa [(Landesjustizrat, Polen, im Folgenden: KRS)] auf unbestimmte Zeit ernannt.“
Rz. 4
Art. 186 Abs. 1 der Verfassung sieht vor:
„Die [KRS] schützt die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“
Rz. 5
Art. 187 der Verfassung bestimmt:
„1. Die [KRS] besteht aus:
1) dem Ersten Präsidenten des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht, Polen)], dem Justizminister, dem Präsidenten des Naczelny Sąd Administracyjny [(Oberstes Verwaltungsgericht, Polen)] und einer vom Präsidenten der Republik ernannten Person,
2) 15 Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und der Militärgerichte gewählt worden sind,
3) vier Mitgliedern, die vom Sejm [(Erste Kammer des Parlaments, Polen)] aus der Mitte der Abgeordneten gewählt worden sind, und zwei Mitgliedern, die vom Senat aus der Mitte der Senatoren gewählt worden sind.
…
3. Die Amtszeit der gewählten Mitglieder der [KRS] beträgt vier Jahre.
4. Die Ordnung, den Umfang der Tätigkeit und die Arbeitsweise der [...