Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 85/374/EWG. Haftung für fehlerhafte Produkte. Begriff des ‚Inverkehrbringens’ des Produkts. Lieferung vom Hersteller an eine 100%ige Tochtergesellschaft
Beteiligte
Tenor
1. Artikel 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ist dahin auszulegen, dass ein Produkt in den Verkehr gebracht ist, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird.
2. Wurde eine Klage gegen ein Unternehmen erhoben, das irrtümlich für den Hersteller eines in Wirklichkeit von einem anderen Unternehmen hergestellten Produkts gehalten wurde, so bestimmt sich grundsätzlich nach nationalem Recht, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer solchen Klage ein Parteiwechsel zulässig ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines solchen Parteiwechsels hat ein nationales Gericht jedoch darauf zu achten, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374, wie er in ihren Artikeln 1 und 3 festgelegt ist, beachtet wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 18. November 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2004, in dem Verfahren
Declan O'Byrne
gegen
Sanofi Pasteur MSD Ltd, ehemals Aventis Pasteur MSD Ltd,
Sanofi Pasteur SA, ehemals Aventis Pasteur SA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter K. Schiemann, K. Lenaerts, E. Juhász und M. Ilešič,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von M. O'Byrne, vertreten durch S. Maskrey, QC, und H. Preston, Barrister, beauftragt durch K. Pickup, Solicitor,
- der Sanofi Pasteur MSD Ltd und der Sanofi Pasteur SA, vertreten durch G. Leggatt, QC, und P. Popat, Barrister,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und G. Valero Jordana als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210, S. 29, im Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Declan O'Byrne (im Folgenden: Kläger) und der Sanofi Pasteur MSD Ltd, ehemals Aventis Pasteur MSD Ltd (im Folgenden: APMSD), und der Sanofi Pasteur SA, ehemals Aventis Pasteur SA (im Folgenden: APSA), über das Inverkehrbringen eines nach dem Vorbringen des Klägers fehlerhaften Impfstoffs durch die Beklagten, durch dessen Verabreichung der Kläger eine schwere Schädigung erlitten zu haben behauptet.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 1 der Richtlinie sieht vor, dass „[d]er Hersteller eines Produkts für den Schaden [haftet], der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist”.
4 Artikel 3 der Richtlinie definiert den Begriff des Herstellers wie folgt:
„(1) ‚Hersteller’ ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.
(2) Unbeschadet der Haftung des Herstellers gilt jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in die Gemeinschaft einführt, im Sinne dieser Richtlinie als Hersteller dieses Produkts und haftet wie der Hersteller.
(3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Dies gilt auch für eingeführte Produkte, wenn sich bei diesen der Importeur im Sinne des Absatzes 2 nicht feststellen lässt, selbst wenn der Name des Herstellers angegeben ist.”
5 Artikel 7 der Richtlinie bestimmt:
„Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist,
a) dass er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat;
…”
6 Nach der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie liegt eine „einheitlich … bemessene Verjährungs...