Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Missbräuchliche Klauseln. Verbraucherkreditvertrag. Auf einer bindenden Rechtsvorschrift beruhende Klausel. Geltungsbereich der Richtlinie. Sicherung der Forderung durch ein Grundpfandrecht. Möglichkeit der Verwertung dieser Sicherheit im Wege der Versteigerung. Gerichtliche Nachprüfung
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 4, 3 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Die Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach eine auf möglicherweise missbräuchlichen Vertragsklauseln beruhende Forderung im Wege der außergerichtlichen Verwertung eines vom Verbraucher eingeräumten Grundpfandrechts beigetrieben werden kann, nicht entgegenstehen, soweit diese Regelung die Wahrung der dem Verbraucher durch diese Richtlinie verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist.
2. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass eine in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher enthaltene Vertragsklausel nur dann vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist, wenn sie auf dem Inhalt einer bindenden Rechtsvorschrift beruht, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský súd v Prešove (Slowakei) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Januar 2013, in dem Verfahren
Monika Kušionová
gegen
SMART Capital a.s.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinien 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) und 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates sowie der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 149, S. 22) im Licht von Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Urteils Simmenthal (106/77, EU:C:1978:49).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kušionová und der SMART Capital a.s. (im Folgenden: SMART Capital) wegen der Art und Weise der Verwertung einer für einen Hypothekendarlehensvertrag bestellten Sicherheit und wegen der Zulässigkeit der in diesem Vertrag enthaltenen Klauseln.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 7 der Charta lautet: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.”
Rz. 4
Art. 38 der Charta bestimmt, dass die Politik der Union ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherstellt.
Rz. 5
Art. 47 der Charta bestimmt in Abs. 1:
„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.”
Rz. 6
Die Erwägungsgründe 12 bis 14 und 24 der Richtlinie 93/13 lauten wie folgt:
„Beim derzeitigen Stand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften kommt allerdings nur eine teilweise Harmonisierung in Betracht. So gilt diese Richtlinie insbesondere nur für Vertragsklauseln, die nicht einzeln ausgehandelt wurden. Den Mitgliedstaaten muss es freigestellt sein, dem Verbraucher unter Beachtung des [EG-]Vertrags einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu gewähren.
Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die...