Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Vorsteuerberichtigung, Option zur Steuerpflicht, Vorsteuerberichtigung beim Grundstückserwerber anstatt beim Veräußerer nach fehlgeschlagener Option
Leitsatz (amtlich)
Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie der Einziehung der infolge der Berichtigung eines Vorsteuerabzugs geschuldeten Beträge bei einem anderem als dem Steuerpflichtigen, der den Abzug vorgenommen hat, entgegensteht.
Normenkette
EWGRL 388/77
Beteiligte
Staatssecretaris van Financien |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Urteil vom 28.10.2011; ABl. EU 2012, Nr. C 73/15) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 13 Teil C und Art. 20 ‐ Lieferung einer Immobilie ‐ Recht, für eine Besteuerung zu optieren ‐ Recht zum Vorsteuerabzug ‐ Berichtigung der Vorsteuerabzüge ‐ Einziehung der infolge der Berichtigung eines Vorsteuerabzugs geschuldeten Beträge ‐ Steuerpflichtiger ‐ Steuerpflichtiger, der mit dem Steuerpflichtigen, der den Abzug ursprünglich vorgenommen hat, nicht identisch ist und an dem besteuerten Umsatz, für den der Abzug vorgenommen wurde, nicht beteiligt ist“
In der Rechtssache C-622/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 28. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Dezember 2011, in dem Verfahren
Staatssecretaris van Financiën
gegen
Pactor Vastgoed BV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Pactor Vastgoed BV, vertreten durch M. van de Leur, belastingadviseur,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer, C. Wissels und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
‐ Irlands, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte im Beistand von C. Toland, BL,
‐ der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Mai 2013
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) und der Pactor Vastgoed BV (im Folgenden: Pactor Vastgoed) wegen eines gegen diese ergangenen Bescheids über die Nacherhebung von Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 4 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können auch solche Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:
a) die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.
Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, z. B. den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitpunkt zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten.
Als Gebäude gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;
…“
Rz. 4
Art. 13 Teil B dieser Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;
h) die Lieferungen unbebauter Grundstücke mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz...