Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geltungsbereich. Begriffe ‚Finanzsicherheit’, ‚maßgebliche Verbindlichkeiten’ und ‚Bestellung’ einer Finanzsicherheit. Möglichkeit, eine Finanzsicherheit zu verwerten, auch wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Vertrag über ein Girokonto mit einer Pfandrechtsklausel
Normenkette
Richtlinie 2002/47/EG
Beteiligte
Private Equity Insurance Group |
„Private Equity Insurance Group” SIA |
Tenor
Die Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten ist dahin auszulegen, dass sie dem Sicherungsnehmer einer Finanzsicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach das auf einem Bankkonto befindliche Guthaben zugunsten der Bank verpfändet wird, um alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber zu besichern, nur dann das Recht gibt, diese Sicherheit zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wenn zum einen das Guthaben, das Gegenstand der Sicherheit ist, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen ist oder, falls es am Tag dieser Eröffnung dort eingegangen ist, die Bank nachgewiesen hat, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte, und wenn zum anderen der Inhaber dieses Kontos daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf diesem Konto über dieses Guthaben zu verfügen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Civillietu departaments (Oberster Gerichtshof, Senat für Zivilsachen, Lettland) mit Entscheidung vom 11. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2015, in dem Verfahren
”Private Equity Insurance Group” SIA
gegen
”Swedbank” AS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), der Richter E. Juhász und C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „Private Equity Insurance Group” SIA, vertreten durch N. Šlitke, advokāts,
- der „Swedbank” AS, vertreten durch R. Vonsovičs, D. Lasmanis und I. Balmaks, advokāti, sowie durch R. Rubenis,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und J. Treijs-Gigulis als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego und V. Ester Casas als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Kraehling als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, Barrister, und B. Kenelly, QC,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Rius, A. Sauka und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Juli 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten (ABl. 2002, L 168, S. 43).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Private Equity Insurance Group” SIA und der „Swedbank” AS über eine von der „Private Equity Insurance Group” SIA gegen die „Swedbank” AS erhobene Schadensersatzklage.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 98/26/EG
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (ABl. 1998, L 166, S. 45) bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt
- für Systeme im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a), die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen und in einer beliebigen Währung, in [Euro] oder in verschiedenen Währungen, die das System gegenseitig konvertiert, arbeiten;
- für Teilnehmer eines solchen Systems;
für dingliche Sicherheiten im Zusammenhang mit
- der Teilnahme an einem System oder
- Maßnahmen der Zentralbanken der Mitgliedstaaten aufgrund ihrer besonderen Aufgabenstellung als Zentralbanken.”
Rz. 4
Art. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a)
‚System’ eine förmliche Vereinbarung,
- die – ohne Mitrechnung einer etwaigen Verrechnungsstelle, zentralen Vertragspartei oder Clearingstelle oder eines etwaigen indirekten Teilnehmers – zwischen mindestens drei Teilnehmern getroffen wurde und gemeinsame Regeln und vereinheitlichte Vorgaben für die Ausführung von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen zwischen den Teilnehmern vorsieht,
- die dem Recht eines von den Teilnehmern gewählten Mitgliedstaats unterliegt; die Teilnehmer können sich jedoch nur für das Recht eines Mitgliedstaats entscheiden, in dem zumindest einer von ihnen seine Hauptverwaltung hat, und
- die unbeschadet anderer, weiter gehender einzelstaatlicher Vorschriften von allgemeiner Geltung als S...