Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gesellschaftsrecht. Übernahmeangebot. Schutz der Minderheitsaktionäre. Pflichtangebot. Berechnungsmethode für den Wert der Aktien zur Bestimmung des angemessenen Preises. Befugnis zur Änderung des angemessenen Preises. Ausnahmen von der Standard-Berechnungsmethode unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien. Haftung des betreffenden Mitgliedstaats. Schaden, der dem Bieter aufgrund eines zu hohen Angebotspreises entstanden ist

 

Normenkette

Richtlinie 2004/25/EG Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1; Richtlinie 2004/25/EG Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2

 

Beteiligte

Euromin Holdings (Cyprus) Limited

Euromin Holdings (Cyprus) Limited

 

Tenor

1. Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die drei Methoden für die Festlegung des angemessenen Preises vorsieht, zu dem der Bieter die Aktien einer Gesellschaft zurückkaufen muss, darunter die Methode, die sich aus der Umsetzung von Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 dieser Richtlinie ergibt, und die vorschreibt, dass stets diejenige zu wählen ist, die zum höchsten Preis führt, nicht entgegensteht, vorausgesetzt, die Aufsichtsstelle wendet die anderen Methoden zur Festlegung des angemessenen Preises als die, die sich aus der Umsetzung von Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 ergibt, unter Einhaltung der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie festgelegten allgemeinen Grundsätze und nach durch einen eindeutigen, genauen und transparenten gesetzlichen Rahmen bestimmten Voraussetzungen und Kriterien an.

2. Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass bei einem Übernahmeangebot der Wert der Aktie ermittelt wird, indem das Nettovermögen der Zielgesellschaft, einschließlich nicht beherrschender Anteile bzw. Minderheitsbeteiligungen, durch die Zahl der ausgegebenen Aktien geteilt wird, entgegensteht, es sei denn, es handelt sich dabei um eine Methode zur Bestimmung des Aktienpreises, die auf ein objektives Bewertungskriterium gestützt wird, das allgemein in der Finanzanalyse verwendet wird und als „eindeutig festgelegt” im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

3. Die Richtlinie 2004/25 ist dahin auszulegen, dass sie dem Bieter im Rahmen des Übernahmeangebotsverfahrens Rechte verleiht, die im Rahmen einer Staatshaftungsklage geltend gemacht werden können.

4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat für Schäden haftet, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung einer Verwaltungsbehörde dieses Staates verursacht wurden, der Ersatz des daraus resultierenden Vermögensschadens auf 50 % des Betrags dieses Schadens begrenzt werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākā tiesa Senāts (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 30. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2019, in dem Verfahren

Euromin Holdings (Cyprus) Limited,

Beteiligte:

Finanšu un kapitāla tirgus komisija,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richter N. Piçarra, D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

  • der Euromin Holdings (Cyprus) Limited, vertreten durch K. Bērziņa, advokāta palīgs, und durch I. Kramiņa, advokāte,
  • der lettischen Regierung, vertreten durch V. Soņeca, V. Kalniņa und K. Pommere als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk, V. Di Bucci und I. Naglis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. September 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. 2004, L 142, S. 12) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Euromin Holdings (Cyprus) Limited und der Finanšu un kapitāla tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission, Lettland) (im Folgenden: Finanzmarktkommission) wegen einer Klage, die zum einen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung vom 15. Oktober 2015, mit der diese Kommission den Rückkauf der Aktien der Ventspils nafta AS, die Gegenstand eines Übernahmeangebots waren, zu e...

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