Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerwesen. Mehrwertsteuer. Steuerbemessungsgrundlage. Verminderung. Versagung. Nichtbezahlung. Steuerpflichtiger, der seine Forderung im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner nicht angemeldet hat. Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit. Unmittelbare Wirkung
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 90 Abs. 1, Art. 273
Beteiligte
Verfahrensgang
Vrhovno sodisce Republike Slovenije (Slowenien) (Beschluss vom 30.01.2019; ABl. EU 2019, Nr. C 148/27) |
Tenor
1. Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach einem Steuerpflichtigen das Recht auf Verminderung der im Zusammenhang mit einer uneinbringlichen Forderung entrichteten Mehrwertsteuer versagt wird, wenn er diese Forderung im Insolvenzverfahren gegen seinen Schuldner nicht angemeldet hat, und zwar selbst dann, wenn er nachweist, dass diese Forderung, auch wenn er sie angemeldet hätte, nicht beigetrieben worden wäre.
2. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht aufgrund seiner Verpflichtung, alle zur Umsetzung dieser Bestimmung geeigneten Maßnahmen zu treffen, das nationale Recht im Einklang mit dieser Bestimmung auszulegen, oder, falls eine solche konforme Auslegung nicht möglich ist, jede nationale Regelung unangewendet zu lassen hat, deren Anwendung zu einem mit dieser Bestimmung unvereinbaren Ergebnis führen würde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) mit Entscheidung vom 30. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Februar 2019, in dem Verfahren
SCT d.d, in Insolvenz,
gegen
Republik Slowenien
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SCT d.d., in Insolvenz, vertreten durch S. Pušenjak, odvetnica,
- der slowenischen Regierung, vertreten durch T. Mihelič Žitko und V. Klemenc als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Galluzzo, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement und M. Kocjan als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SCT d.d., einer Gesellschaft in Insolvenz, und der Republik Slowenien über die Weigerung, SCT die Vornahme einer Berichtigung der im Zusammenhang mit offenen Forderungen entrichteten Mehrwertsteuer zu gestatten, da es diese Gesellschaft unterlassen habe, ihre Forderungen in den Insolvenzverfahren gegen ihre Schuldner anzumelden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.”
Rz. 4
Art. 273 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.”
Slowenisches Recht
Rz. 5
Art. 39 des Zakon o davku na dodano vrednost (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: ZDDV-1) sieht in den Abs. 2 bis 4 vor:
„(2) Im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage entsprechend vermindert. Der Steuerpf...