Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Mindestpauschalbetrag als Entschädigung für Beitreibungskosten. Bestimmung des nationalen Rechts, nach der Anträge auf Zahlung dieses Pauschalbetrags im Fall eines nicht erheblichen Zahlungsverzugs oder eines geringen Forderungsbetrags zurückgewiesen werden können. Pflicht zur unionskonformen Auslegung
Normenkette
Richtlinie 2011/7/EU Art. 6 Abs. 1
Beteiligte
Skarb Państwa (Retard de paiement non significatif ou de créance faible) |
Skarb Państwa – Dyrektor Okręgowego Urzędu Miar w K. |
Tenor
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
ist dahin auszulegen, dass
er einer Praxis der nationalen Gerichte entgegensteht, die darin besteht, Klagen auf Zahlung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Mindestpauschalbetrags als Entschädigung für Beitreibungskosten mit der Begründung abzuweisen, dass der Zahlungsverzug des Schuldners nicht erheblich sei oder dass der Betrag, mit dem der Schuldner in Verzug geraten sei, gering sei.
Tatbestand
In der Rechtssache C-279/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy Katowice – Zachód w Katowicach (Rayongericht Katowice Zachód [Kattowitz West], Polen) mit Entscheidung vom 7. März 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 28. April 2023, in dem Verfahren
Skarb Państwa – Dyrektor Okręgowego Urzędu Miar w K.
gegen
Z. sp.j.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra (Berichterstatter) sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Z. sp.j., vertreten durch K. Pluta-Gabryś, Radca prawny,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Skarb Państwa (Fiskus, Polen), vertreten durch den Dyrektor Okręgowego Urzędu Miar w K. (Fiskus – Direktor des Regionalen Messamts K.) (im Folgenden: Messamt), und der Z. sp.j. (im Folgenden: Z), einer Gesellschaft polnischen Rechts, wegen eines Antrags auf pauschale Entschädigung für die Beitreibungskosten, die diesem Amt wegen wiederholten Zahlungsverzugs von Z im Zusammenhang mit von diesem Amt erbrachten Dienstleistungen im Bereich der Eichung von Messgeräten entstanden sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 12, 17 und 19 der Richtlinie 2011/7 heißt es:
„(12) Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen und zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen, sowie auch Bestimmungen, wonach vermutet wird, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist.
…
(17) Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.
…
(19) Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigun...