Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand. Umstände, unter denen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährleistet werden muss. Nichterscheinen vor Gericht. Abweichungen vom Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand. Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz

 

Normenkette

Richtlinie 2013/48/EU Art. 3 Abs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47

 

Beteiligte

VW

VW

 

Tenor

Die Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs, insbesondere ihr Art. 3 Abs. 2, ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, wonach die Inanspruchnahme des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens aufgrund des Nichterscheinens des Verdächtigen bzw. der beschuldigten Person auf eine Ladung vor einen Untersuchungsrichter ausgesetzt werden kann, bis der nationale Haftbefehl gegen den Betroffenen vollzogen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Instrucción n. 4 de Badalona (Untersuchungsgericht Nr. 4 von Badalona, Spanien) mit Entscheidung vom 19. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2018, in dem Strafverfahren gegen

VW

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter P. G. Xuereb und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez und M. J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Pardo Quintillán und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1) sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen VW wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4, 6, 19 und 30 bis 32 der Richtlinie 2013/48 heißt es:

„(4) Die Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen setzt gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweilige Strafrechtspflege voraus. Das Maß der gegenseitigen Anerkennung hängt von einer Reihe von Parametern ab; dazu gehören Mechanismen für den Schutz der Rechte von Verdächtigen oder von beschuldigten Personen sowie gemeinsame Mindestnormen, die erforderlich sind, um die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu erleichtern.

(6) Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in Strafverfahren kann nur in einem Klima des Vertrauens vollständig zum Tragen kommen, in dem nicht nur die Justizbehörden, sondern alle an Strafverfahren beteiligten Akteure Entscheidungen der Justizbehörden anderer Mitgliedstaaten als denen ihrer eigenen Justizbehörden gleichwertig ansehen; dies setzt nicht nur Vertrauen in die Angemessenheit der Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten voraus, sondern auch Vertrauen in die ordnungsgemäße Anwendung dieser Vorschriften. Zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens bedarf es detaillierter Bestimmungen zum Schutz der Verfahrensrechte und -garantien, die auf die Charta, die [am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)] und [den am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen und am 23. März 1976 in Kraft getretenen Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte] zurückgehen. Dies erfordert ferner eine Weiterentwicklung der in der Charta und der EMRK verankerten Mindeststandards innerhalb der [Europäischen] Union durch diese Richtlinie und andere Maßnahmen.

(19) Die Mitgliedstaaten sollten ...

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