Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Recht auf Vorsteuerabzug. Fristen für die Erklärung und Entrichtung bestimmter Steuern. Verlängerung aufgrund der Covid-19-Pandemie. Versagung der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Ausschlusswirkung. Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 184
Beteiligte
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite |
Verfahrensgang
Administrativen sad Varna (Bulgarien) (Beschluss vom 30.06.2023; ABl. EU 16.10.2023, C/2023/120) |
Tenor
Art. 184 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 186 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2010/45 geänderten Fassung sowie die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung und Verwaltungspraxis nicht entgegenstehen, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die vor seiner mehrwertsteuerlichen Registrierung entrichtet wurde, mit der Begründung versagt wird, dass er diesen Abzug nach Ablauf der in der anwendbaren nationalen Regelung vorgesehenen Ausschlussfrist mittels einer auf die Berichtigung einer vor Ablauf dieser Frist abgegebenen Mehrwertsteuererklärung abzielenden Erklärung beantragt habe, ungeachtet des Umstands, dass im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nationale Maßnahmen zur Verlängerung der Fristen für die Erklärung und Entrichtung bestimmter Steuern erlassen wurden, zu denen die Mehrwertsteuer nicht gehörte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) mit Entscheidung vom 30. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2023, in dem Verfahren
„NARE-BG” EOOD
gegen
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „NARE-BG” EOOD, vertreten durch D. D. Petkova-Topalova, Advokat,
- des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, vertreten durch D. Zhelyazkov,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Pérez-Zurita Gutiérrez als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Drambozova und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 184 und 186 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie der Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „NARE-BG” EOOD und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika” Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis” für die Stadt Varna der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für öffentliche Einnahmen, Bulgarien) (im Folgenden: Direktor) wegen dessen Weigerung, der NARE-BG die Ausübung ihres Rechts auf Vorsteuerabzug für steuerpflichtige Umsätze zu gestatten, die vor ihrer mehrwertsteuerlichen Registrierung getätigt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 4
Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…”
Rz. 5
Art. 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Um das Recht a...