Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Abfallbewirtschaftung. Grundsatz der Nähe. Abfallverbringung. Gemischte Siedlungsabfälle. Industrie- und Bauabfälle. Verfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession für die Sammlung und den Transport von im Gebiet einer Gemeinde erzeugten Abfällen. Pflicht des künftigen Konzessionärs, die gesammelten Abfälle zu von der konzessionsgebenden Behörde bestimmten Behandlungsanlagen zu transportieren. Nächstgelegene geeignete Behandlungsanlagen
Normenkette
Richtlinie 2008/98/EG Art. 16 Abs. 3; Verordnung (EG) Nr. 1013/2006
Beteiligte
Tenor
1. Die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen in Verbindung mit Art. 16 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien sind wie folgt auszulegen:
- Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in privaten Haushalten und gegebenenfalls bei anderen Erzeugern eingesammelten gemischten Siedlungsabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit.
- Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit nicht, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in ihrem Gebiet erzeugten Industrie- und Bauabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit, wenn diese Abfälle zur Verwertung bestimmt sind, sofern die Erzeuger der Abfälle entweder verpflichtet sind, die Abfälle entweder dem genannten Unternehmen zu übergeben oder sie direkt an die genannte Anlage zu liefern.
2. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV finden keine Anwendung auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Tartu ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 5. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2012, in dem Verfahren
Ragn-Sells AS
gegen
Sillamäe Linnavalitsus
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas, D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Ragn-Sells AS, vertreten durch E. Tamm, vandeadvokaat,
- der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch F. Dedousi als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Antoniadis, A. Alcover San Pedro und D. Düsterhaus als Bevollmächtigte im Beistand von C. Ginter, vandeadvokaat,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 35 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und der Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrags sowie des Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. L 312, S. 3).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Ragn-Sells AS (im Folgenden: Ragn-Sells) und der Sillamäe Linnavalitsus (Gemeinde Sillamäe) wegen bestimmter Klauseln in den Auftragsunterlagen, die Letztere im Rahmen des Verfahrens zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession für die Sammlung und den Transport von in ihrem Gebiet erzeugten Abfällen erstellt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/98
Rz. 3
Nach ihrem Art. 41 hat die Richtlinie 2008/98 mit Wirkung vom 12. Dezember 2010 die Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. L 114, S. 9) aufgehoben und ersetzt und gelten Bezugnahmen auf die Richtlinie 2006/12 als Bezugnahmen auf die Richtlinie 2008/98.
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 6, 8, 31 und 32 der Richtlinie 2008/98 heißt es:
„(6) Das oberste Ziel jeder Abfallpolitik sollte darin bestehen, die nachteiligen Auswirkungen der Abfallerzeugung und -bewirtschaftung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu minimieren. Die Abfallpolitik sol...