Entscheidungsstichwort (Thema)
Humanarzneimittel. Ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel. Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats. Begriff ‚durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschütztes Erzeugnis’. Kriterien. Wortlaut der Ansprüche des Grundpatents. Genauigkeit und Spezifizität. Funktionelle Definition eines Wirkstoffs. Strukturelle Definition eines Wirkstoffs. Europäisches Patentübereinkommen
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 469/2009 Art. 3
Beteiligte
Eli Lilly and Company Ltd |
Human Genome Sciences Inc |
Tenor
Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel ist dahin auszulegen, dass es für die Einstufung eines Wirkstoffs als im Sinne dieser Bestimmung „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt” nicht erforderlich ist, diesen Wirkstoff in den Ansprüchen des bestellenden Patents mit einer Strukturformel anzuführen. Wenn dieser Wirkstoff unter eine in den Ansprüchen eines vom EPA erteilten Patents enthaltene Funktionsformel fällt, steht Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 der Erteilung eines ESZ für diesen Wirkstoff grundsätzlich nicht entgegen; dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ u. a. im Licht der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 24. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2012, in dem Verfahren
Eli Lilly and Company Ltd
gegen
Human Genome Sciences Inc.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Eli Lilly and Company Ltd, vertreten durch A. Waugh, QC, T. Mitcheson, Barrister, und M. Hodgson, Solicitor,
- der Human Genome Sciences Inc., vertreten durch M. Tappin, QC, sowie J. Antcliff und P. Gilbert, lawyers,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von C. May, Barrister,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Menez als Bevollmächtigte,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und I. Ņesterova als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. W. Bulst und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
- aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (ABl. L 152, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eli Lilly and Company Ltd (im Folgenden: Eli Lilly) und der Human Genome Sciences Inc. (im Folgenden: HGS), der HGS daran hindern soll, ein ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel (im Folgenden: ESZ) auf der Grundlage des Grundpatents, dessen Inhaberin HGS ist, und einer Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt zu bekommen, die Eli Lilly in Kürze für den Vertrieb eines Arzneimittels mit einem von ihr entwickelten und getesteten Antikörper beantragen oder sogar erteilt bekommen wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 4 und 5 sowie 9 und 10 der Verordnung Nr. 469/2009 lauten:
„(4) Derzeit wird durch den Zeitraum zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend ist.
(5) Diese Tatsache führt zu einem unzureichenden Schutz, der nachteilige Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung hat.
…
(9) Die Dauer des durch das Zertifikat gewährten Schutzes sollte so festgelegt werden, dass dadurch ein ausreichender tatsächlicher Schutz erreicht wird. Hierzu müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden.
(10) In einem so ko...