Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Kartelle. Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk. Festlegung von Preiszielen, Aufteilung der Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen und Austausch von Geschäftsinformationen. Beweis. Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung. Höhe der Geldbuße. Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung. Erschwerender Umstand. Wiederholungsfall
Beteiligte
Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA |
Tenor
1. Das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.
2. Die Versalis SpA trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel.
3. Die Europäische Kommission trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Anschlussrechtsmittel.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. September 2011,
Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA, mit Sitz in Brindisi (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Siragusa, F. Moretti und L. Nascimbene, avvocati,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, L. Malferrari und G. Conte als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA (im Folgenden: Versalis oder Rechtsmittelführerin), die vollständige oder teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Polimeri Europa/Kommission (T-59/07, Slg. 2011, II-4687, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Versalis betrifft, und, hilfsweise, auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.
Rz. 2
Die Europäische Kommission hat ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit ihm die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls teilweise für nichtig erklärt und dementsprechend die gegen die Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße herabgesetzt hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung
Rz. 3
Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) betreffend den Markt für Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR), synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: erste Mitteilung) u. a. an Versalis, an die Eni SpA, die Muttergesellschaft der Rechtsmittelführerin, deren Kapital sie zu 100 % hält, und an die Syndial SpA (vormals EniChem SpA, im Folgenden: Syndial), eine weitere Gesellschaft des Eni-Konzerns.
Rz. 4
Am 6. April 2006 erließ die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: zweite Mitteilung). Nachdem sie am 22. Juni 2006 eine Anhörung der Unternehmen durchgeführt hatte, beschloss die Kommission, das Verfahren u. a. gegen Syndial einzustellen.
Rz. 5
Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung. Nach Art. 1 dieser Entscheidung hatten Versalis, die Eni SpA und die übrigen Unternehmen, die Adressaten der streitigen Entscheidung waren, nämlich die Bayer AG (im Folgenden: Bayer), The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH und die Dow Europe GmbH (im Folgenden zusammen: Dow), die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV und die Shell Nederland Chemie BV (im Folgenden zusammen: Shell), die Unipetrol a.s., die Kaucuk a.s. (im Folgenden: Kaucuk) und die Trade Stomil sp. z o.o. (im Folgenden: Stomil) gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie – was Versalis betrifft, in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 – an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festgelegt, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufgeteilt und sensible Gesc...