Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung von Zinseinkünften, Ungleichbehandlung zwischen gebietsansässigen Finanzinstituten und gebietsfremden Finanzinstituten, Quellensteuerabzug
Leitsatz (amtlich)
Art. 49 EG steht einer Regelung nicht entgegen, nach der ein Verfahren des Steuerabzugs an der Quelle auf die Vergütung von Finanzinstituten, die nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, angewandt wird, während die an Finanzinstitute, die in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, geleistete Vergütung keinem solchen Abzug unterliegt, sofern die Anwendung eines Abzugs an der Quelle auf gebietsfremde Finanzinstitute durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.
Art. 49 EG steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, nach der bei gebietsfremden Finanzinstituten grundsätzlich die inländischen Zinseinnahmen ohne Möglichkeit eines Abzugs von unmittelbar mit der in Rede stehenden Tätigkeit zusammenhängenden Betriebsausgaben besteuert werden, während gebietsansässigen Finanzinstituten eine solche Möglichkeit zugestanden wird.
Es obliegt dem vorlegenden Gericht, auf der Grundlage seines nationalen Rechts zu beurteilen, welche Betriebsausgaben als unmittelbar mit der in Rede stehenden Tätigkeit zusammenhängend angesehen werden können.
Normenkette
EGV Art. 49
Beteiligte
Brisal und KBC Finance Ireland |
Brisal - Auto Estradas do Litoral SA, KBC Finance Ireland |
Verfahrensgang
Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Beschluss vom 29.10.2014; ABl. EU 2015, Nr. C 118/16) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Art. 56 AEUV ‐ Freier Dienstleistungsverkehr ‐ Beschränkungen ‐ Steuerrecht ‐ Besteuerung der Zinseinkünfte ‐ Ungleichbehandlung zwischen gebietsansässigen Finanzinstituten und gebietsfremden Finanzinstituten“
In der Rechtssache C-18/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 29. Oktober 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2015, in dem Verfahren
Brisal ‐ Auto Estradas do Litoral SA,
KBC Finance Ireland
gegen
Fazenda Pública
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Brisal ‐ Auto Estradas do Litoral SA und der KBC Finance Ireland, vertreten durch J. Lampreia, R. Seabra Moura und F. Antas, advogados,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, J. Martins da Silva und M. Rebelo als Bevollmächtigte,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux, N. Zimmer und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Wolff als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und P. Guerra e Andrade als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. März 2016
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Brisal – Auto Estradas do Litoral SA (im Folgenden: Brisal) mit Sitz in Portugal und der KBC Finance Ireland (im Folgenden: KBC), einem Bankinstitut mit Sitz in Irland, auf der einen und der Fazenda Pública (Staatskasse, Portugal) auf der anderen Seite über die Berechnung der Körperschaftsteuer (im Folgenden: IRC) auf von KBC erhaltene Zinseinkünfte und über die Erhebung dieser Steuer an der Quelle.
Rechtlicher Rahmen
Portugiesisches Recht
Rz. 3
Gemäß Art. 4 Abs. 2 des Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (Körperschaftsteuergesetzbuch), gebilligt durch das Decreto-Lei n.º 442-B/88 (Gesetzesvertretende Verordnung Nr. 442-B/88) vom 30. November 1988 (Diário da República I, Serie I-A, Nr. 277 vom 30. November 1988) in seiner Fassung nach dem Decreto-Lei n° 211/2005 (Gesetzesvertretende Verordnung Nr. 211/2005) vom 7. Dezember 2005 (Diário da República I, Serie I-A, Nr. 234 vom 7. Dezember 2005) (im Folgenden: CIRC), unterliegen juristische Personen und sonstige Körperschaften, die im portugiesischen Hoheitsgebiet weder ihren Sitz noch ihre tatsächliche Geschäftsleitung haben, der IRC nur bezüglich der in diesem Hoheitsgebiet erzielten Einkünfte. Zu den betreffenden Einkünften gehören gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. c CIRC Zinszahlungen von Schuldnern, die im portugiesischen Hoheitsgebiet wohnen bzw. dort ihren Sitz oder ihre tatsächliche Geschäftsleitung haben, oder Zinszahlungen, die einer festen Betriebsstätte in diesem Staat zuzurechnen sind.
Rz. 4
Bei Fehlen eines Abkommens...