Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Inhaftnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat. Frist für die Überstellung. Höchstdauer der Inhaftnahme. Berechnung. Annahme des Aufnahmegesuchs vor der Inhaftnahme. Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 28
Beteiligte
Tenor
1. Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht von Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,
- dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für höchstens zwei Monate aufrechterhalten werden darf, nicht entgegensteht, soweit zum einen die Haftdauer den für die Zwecke des Überstellungsverfahrens erforderlichen Zeitraum, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen dieses Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist, nicht übersteigt und zum anderen diese Haftdauer gegebenenfalls nicht länger ist als sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, und
- dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es in einer solchen Situation erlaubt, die Haft während drei bzw. zwölf Monaten aufrechtzuerhalten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, entgegensteht.
2. Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass auf die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, die Tage, während deren die betreffende Person bereits in Haft war, nachdem ein Mitgliedstaat dem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht anzurechnen sind.
3. Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, auch dann gilt, wenn die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausdrücklich von der betreffenden Person beantragt worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammarrätt i Stockholm – Migrationsöverdomstolen (Verwaltungsgerichtshof Stockholm – Obergericht für Migrationsfragen, Schweden) mit Entscheidung vom 29. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Februar 2016, in dem Verfahren
Mohammad Khir Amayry
gegen
Migrationsverket
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Khir Amayry, vertreten durch S. Stoeva, advokat,
- des Migrationsverk, vertreten durch F. Beijer und F. Axling als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch L. Swedenborg, A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson und N. Otte Widgren als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und B. Koopman als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane und M. Holt als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
- der Schweizer Regierung, vertreten durch C. Bichet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. März 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, ...