Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung (EG) Nr. 1896/2006. Europäisches Mahnverfahren. Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls, der nicht die nach den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen formellen Voraussetzungen erfüllt. Erschöpfender Charakter der Voraussetzungen, die der Antrag erfüllen muss. Möglichkeit, die bis zur Begleichung der Hauptforderung auflaufenden Zinsen zu verlangen
Beteiligte
Tenor
1. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens ist dahin auszulegen, dass er die Voraussetzungen, die ein Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls erfüllen muss, erschöpfend regelt.
Es steht dem nationalen Gericht gemäß Art. 25 dieser Verordnung und vorbehaltlich der in diesem Artikel genannten Bedingungen frei, die Höhe der Gerichtsgebühren nach den Modalitäten zu bestimmen, die in den für es maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, sofern diese Modalitäten nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen, und sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
2. Die Art. 4 und 7 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1896/2006 sind dahin auszulegen, dass sie es dem Antragsteller nicht verwehren, im Rahmen des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls die Zinsen für die Zeit ab ihrer Fälligkeit bis zur Begleichung der Hauptforderung zu verlangen.
3. Wird dem Antragsgegner aufgegeben, dem Antragsteller die bis zur Begleichung der Hauptforderung auflaufenden Zinsen zu zahlen, steht es dem nationalen Gericht frei, die konkreten Einzelheiten für das Ausfüllen des in Anhang V der Verordnung Nr. 1896/2006 enthaltenen Formblatts für den Europäischen Zahlungsbefehl zu bestimmen, sofern der Antragsgegner anhand des so ausgefüllten Formblatts zum einen ohne jeden Zweifel die Entscheidung erkennen kann, dass er die bis zur Begleichung der Hauptforderung auflaufenden Zinsen zu zahlen hat, und er zum anderen den Zinssatz sowie den Zeitpunkt, ab dem er Zinsen zahlen soll, klar ausmachen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy we Wrocławiu (Polen) mit Entscheidung vom 11. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2011, in dem Verfahren
Iwona Szyrocka
gegen
SiGer Technologie GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter), E. Levits, J.-J. Kasel und M. Safjan,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, M. Arciszewski und B. Czech als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
- der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Europäischen Mahnverfahrens, das von Frau Szyrocka, wohnhaft in Polen, gegen die SiGer Technologie GmbH mit Sitz in Deutschland eingeleitet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1896/2006
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 8, 9, 10 und 11 der Verordnung Nr. 1896/2006 lauten:
„(8) Der daraus resultierende erschwerte Zugang zu einer effizienten Rechtsprechung bei grenzüberschreitenden Rechtssachen und die Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt aufgrund des unterschiedlichen Funktionierens der verfahrensrechtlichen Instrumente, die den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, machen eine Gemeinschaftsregelung erforderlich, die für Gläubiger und Schuldner in der gesamten Europäischen Union gleiche Bedingungen gewährleistet.
(9) Diese Verordnung hat Folgendes zum Ziel: die Vereinfachung und Beschleunigung grenzüberschreitender Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und die Verringerung der Verfahrenskosten durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens …
(10) Das durch diese Verordnung geschaffene Verfahren sollte eine zusätzliche und fakultative Alternative für den Antragsteller darstellen, dem es nach wie vor freiste...