Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Visakodex der Gemeinschaft. Ablehnung eines Visumantrags. Recht des Antragstellers auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen diese Entscheidung. Verpflichtung eines Mitgliedstaats, das Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf zu garantieren
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 810/2009 Art. 32 Abs. 3
Beteiligte
Minister Spraw Zagranicznych |
Tenor
Art. 32 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung von Visumanträgen vorzusehen, dessen Ausgestaltung – unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Sache der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist. Bei diesem Verfahren muss in irgendeinem Stadium ein gerichtlicher Rechtsbehelf gewährleistet sein.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 28. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juli 2016, in dem Verfahren
Soufiane El Hassani
gegen
Minister Spraw Zagranicznych
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. G. Fernlund, A. Arabadjiev, S. Rodin und E. Regan,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn El Hassani, vertreten durch J. Białas, radca prawny,
- des Minister Spraw Zagranicznych, vertreten durch K. Pawłowska-Nojszewska und M. Arciszewski als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Kamejsza-Kozłowska und K. Straś als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Stobiecka-Kuik und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. 2009, L 243, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 182, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Visakodex).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Soufiane El Hassani und dem Minister Spraw Zagranicznych (Minister für auswärtige Angelegenheiten, Polen) wegen einer Entscheidung des Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen), mit der die Klage von Herrn El Hassani gegen die Ablehnung seines Visumantrags durch einen Bescheid des Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w Rabacie (Konsul der Republik Polen in Rabat [Marokko]) vom 27. Januar 2015 abgewiesen wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 29. Erwägungsgrund des Visakodex heißt es:
„Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)] des Europarates und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 des Visakodex bestimmt:
„Mit dieser Verordnung werden die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen festgelegt.”
Rz. 5
Art. 32 Abs. 1 und 3 des Visakodex lautet:
„(1) Unbeschadet des Artikels 25 Absatz 1 wird das Visum verweigert,
…
b) wenn begründete Zweifel an der Echtheit der von dem Antragsteller vorgelegten Belege oder am Wahrheitsgehalt ihres Inhalts, an der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen oder der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.
…
(3) Antragstellern, deren Visumantrag abgelehnt wurde, steht ein Rechtsmittel zu. Die Rechtsmittel sind gegen den Mitgliedstaat, der endgültig über den Visumantrag entschieden hat, und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats zu führen. Die Mitgliedstaaten...