Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, beschränkt Steuerpflichtige, Gebot der Gleichbehandlung bei Steuerklassenwahl, Gebot der Gleichbehandlung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bei beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen
Leitsatz (amtlich)
1) Artikel 48 EWG-Vertrag ist so auszulegen, daß er das Recht eines Mitgliedstaats, die Voraussetzungen und die Modalitäten der Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats erzielten Einkünfte festzulegen, insoweit einschränken kann, als er es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der in Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates eine nichtselbständige Beschäftigung ausübt, bei der Erhebung der direkten Steuern schlechter zu behandeln als einen eigenen Staatsangehörigen, der sich in der gleichen Lage befindet.
2) Artikel 48 des Vertrages ist so auszulegen, daß er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, in dem er auch wohnt, und der im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates eine nichtselbständige Beschäftigung ausübt, höher besteuert wird als ein Arbeitnehmer, der im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates wohnt und dort die gleiche Beschäftigung ausübt, wenn wie im Ausgangsverfahren der Staatsangehörige des zweitgenannten Mitgliedstaats sein Einkommen ganz oder fast ausschließlich aus der Beschäftigung erzielt, die er im ersten Mitgliedstaat ausübt, und im zweitgenannten Mitgliedstaat keine ausreichenden Einkünfte erzielt, um dort einer Besteuerung unterworfen zu werden, bei der seine persönliche Lage und sein Familienstand berücksichtigt werden.
3) Artikel 48 des Vertrages ist so auszulegen, daß er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats im Bereich der direkten Steuern entgegensteht, die Verfahren wie den Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Einkommensteuerveranlagung durch die Verwaltung nur für Gebietsansässige vorsehen und natürliche Personen, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort jedoch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, davon ausschließen.
Normenkette
EWGVtr Art. 48
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
ARTIKEL 48 EWG-VERTRAG - VERPFLICHTUNG ZUR GLEICHBEHANDLUNG - BESTEUERUNG DES EINKOMMENS VON GEBIETSFREMDEN
RECHTSSACHE C-279/93
FINANZAMT KOELN-ALTSTADT
GEGEN
ROLAND SCHUMACKER
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND.
Urteil
1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 14. April 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 48 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob mit dem Gemeinschaftsrecht bestimmte einkommensteuerrechtliche Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind, nach denen Steuerpflichtige je nachdem, ob sie im nationalen Hoheitsgebiet wohnen oder nicht, unterschiedlich behandelt werden.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt Köln-Altstadt und dem belgischen Staatsangehörigen Roland Schumacker über die Voraussetzungen der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die dieser in Deutschland bezieht.
3 In Deutschland sieht das Einkommensteuergesetz (EStG) eine unterschiedliche Besteuerung der Lohn- und Gehaltsempfänger je nach ihrem Wohnsitz vor.
4 Nach § 1 Absatz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
5 Dagegen sind nach § 1 Absatz 4 EStG natürliche Personen, die in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nur hinsichtlich ihrer in Deutschland erzielten Einkünfte steuerpflichtig (beschränkt einkommensteuerpflichtig). Nach § 49 Absatz 1 Nummer 4 sind solche in Deutschland erzielten Einkünfte namentlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland ausgeübt wird.
6 Allgemein wird in Deutschland die Einkommensteuer auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Weise erhoben, daß der Arbeitgeber sie vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers abzieht und an die Steuerbehörde abführt.
7 Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer in Steuerklassen eingereiht (§ 38b EStG). Unverheiratete gehören in die Steuerklasse I (allgemeine Steuerklasse). Verheiratete Arbeitnehmer, die nicht dauernd getrennt leben, gehören in die Steuerklasse III (Splittingtarif, § 26b EStG), sofern beide Ehegatten in Deutschland wohnen und unbeschränkt steuerpflichtig sind. Das deutsche Splittingsystem wurde eingeführt, um die Steuerprogression bei der Einkommensteuer zu mildern. Es besteht darin, die Gesamteinkünfte der Ehegatten zusammenzurechnen und sie sodann fiktiv jedem Ehega...