Entscheidungsstichwort (Thema)

Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Genehmigung eines solchen Projekts ohne angemessene Umweltverträglichkeitsprüfung. Ziele der Umweltverträglichkeitsprüfung. Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch. Einbeziehung des Schutzes Einzelner gegen Vermögensschäden

 

Normenkette

Richtlinie 85/337/EWG

 

Beteiligte

Leth

Jutta Leth

Republik Österreich

Land Niederösterreich

 

Tenor

Art. 3 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinien 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 und 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Artikel die Bewertung der Auswirkungen des fraglichen Projekts auf den Wert von Sachgütern nicht einschließt. Vermögensschäden sind aber vom Schutzzweck dieser Richtlinie umfasst, soweit sie unmittelbare wirtschaftliche Folgen der Auswirkungen eines öffentlichen oder privaten Projekts auf die Umwelt sind.

Nach dem Unionsrecht und unbeschadet weniger einschränkender nationaler Rechtsvorschriften im Bereich der Haftung des Staates verleiht das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung unter Verletzung der Anforderungen dieser Richtlinie als solches einem Einzelnen grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz eines reinen Vermögensschadens, der durch die von Umweltauswirkungen des Projekts verursachte Minderung des Werts seiner Liegenschaft entstanden ist. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Anforderungen des Unionsrechts, die für den Entschädigungsanspruch gelten, u. a. das Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Verstoß und den erlittenen Schäden, erfüllt sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 21. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 2011, in dem Verfahren

Jutta Leth

gegen

Republik Österreich,

Land Niederösterreich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Leth, vertreten durch Rechtsanwalt W. Proksch,
  • der Republik Österreich, vertreten durch C. Pesendorfer und P. Cede als Bevollmächtigte,
  • des Landes Niederösterreich, vertreten durch Rechtsanwalt C. Lind,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch D. Hadroušek und M. Smolek als Bevollmächtigte,
  • von Irland, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von E. Fitzsimons, SC,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch G. Karipsiades als Bevollmächtigten,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
  • der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und A. Nikolajeva als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko und L. Seeboruth als Bevollmächtigte im Beistand von E. Dixon, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver und G. Wilms als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. November 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 3 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinien 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. L 73, S. 5) und 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 (ABl. L 156, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/337).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Leth einerseits und der Republik Österreich und dem Land Niederösterreich andererseits wegen einer Klage von Frau Leth auf Ersatz des Vermögensschadens, der ihr durch die Minderung des Werts ihres zu Wohnzwecken genutzten Hauses nach der Erweiterung des Flughafens Wien-Schwechat (Österreich) entstanden sei, zum einen und auf Feststellung der Haftung der Beklagten des Ausgangsverfahrens für zukünftige Schäden zum anderen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 85/337

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 1, 3, 5, 6 und 11 der Richtlinie 85/337 heißt es:

„In den Aktionsprogrammen der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz … wurde betont, dass die beste Umweltpolitik darin besteht, Umweltbelastungen von vornherein zu vermeiden, statt sie erst nachträglich in ihren Auswirkungen zu bekämpfen. In ihnen wurde bekräftigt, dass bei allen tech...

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