Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsschutzversicherung. Recht des Versicherungsnehmers, seinen Vertreter frei zu wählen. Gerichtliches Verfahren. Begriff. Vermittlungsverfahren
Normenkette
EGRL 138/2009 Art. 201
Beteiligte
Ordre des barreaux francophones et germanophone |
Tenor
Art. 201 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Gerichtsverfahren” in dieser Bestimmung ein gerichtliches oder außergerichtliches Vermittlungsverfahren umfasst, an dem ein Gericht beteiligt ist oder werden kann, sei es bei der Einleitung oder nach Abschluss dieses Verfahrens.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof, Belgien) mit Entscheidung vom 11. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Oktober 2018, in dem Verfahren
Orde van Vlaamse Balies,
Ordre des barreaux francophones et germanophone
gegen
Ministerraad
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský und F. Biltgen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Orde van Vlaamse Balies und des Ordre des barreaux francophones et germanophone, vertreten durch F. Judo und N. Goethals, advocaten,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von S. Ronse, avocat, und T. Quintes, advocaat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, A. Nijenhuis und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Dezember 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 201 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Orde van Vlaamse Balies und dem Ordre des barreaux francophones et germanophone (im Folgenden: Rechtsanwaltskammern) auf der einen und dem Ministerraad (Ministerrat, Belgien) auf der anderen Seite über die Freiheit des Versicherungsnehmers im Rahmen eines Rechtsschutzversicherungsvertrags, seinen Vertreter in einem Vermittlungsverfahren (Mediation) auszuwählen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 87/344/EWG
Rz. 3
Die Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (ABl. 1987, L 185, S. 77), die durch die Richtlinie 2009/138 aufgehoben worden ist, sah in ihrem Art. 4 vor:
„(1) In jedem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag ist ausdrücklich anzuerkennen, dass
a) wenn ein Rechtsanwalt oder eine sonstige nach dem nationalen Recht entsprechend qualifizierte Person in Anspruch genommen wird, um in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren den Versicherten zu verteidigen, zu vertreten oder seine Interessen wahrzunehmen, dem Versicherten die Wahl des Rechtsanwalts oder der sonstigen Person freisteht.
…
(2) Unter Rechtsanwalt ist jede Person zu verstehen, die ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der Bezeichnungen gemäß der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte [ABl. 1977, L 78, S. 17] auszuüben berechtigt ist.”
Richtlinie 2009/138
Rz. 4
Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/138 lautet:
„Vorrangiges Ziel der Regulierung und Beaufsichtigung des Versicherungs- und Rückversicherungsgewerbes ist ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten. Unter den Begriff Anspruchsberechtigte fällt eine natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch aufgrund eines Versicherungsvertrags besitzt. Finanzstabilität sowie faire und stabile Märkte sind weitere Ziele der Versicherungs- und Rückversicherungsregulierung und -aufsicht, denen ebenfalls Rechnung zu tragen ist, die jedoch das vorrangige Ziel nicht beeinträchtigen dürfen.”
Rz. 5
Titel II („Besondere Bestimmungen für Versicherung und Rückversicherung”) Kapitel II („Versicherungsbedingungen”) Abschnitt 4 („Rechtsschutzversicherung”) dieser Richtlinie umfasst die Art. 198 bis 205.
Rz. 6
Art. 198 („Geltungsbereich dieses Abschnitts”) Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 bestimmt:
„Dieser Abschnitt gilt ...