Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsklage. Institutionelles Recht. Festlegung des Sitzes der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam (Niederlande). Zulässigkeit. Rechtsschutzinteresse. Klagebefugnis. Unmittelbare und individuelle Betroffenheit. Am Rande einer Tagung des Rates angenommener Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Festlegung des Standorts des Sitzes einer Agentur der Europäischen Union. Keine Bindungswirkung in der Unionsrechtsordnung. Befugnisse des Europäischen Parlaments
Normenkette
Verordnung (EU) 2018/1718; AEUV Art. 263
Beteiligte
Italien/ Rat und Parlament |
Rat der Europäischen Union |
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Italienischen Republik, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament tragen ihre eigenen Kosten in der Rechtssache C-106/19.
3. Die Comune di Milano, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament tragen ihre eigenen Kosten in der Rechtssache C-232/19.
4. Das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 11. Februar 2019 und am 14. März 2019,
Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, S. Fiorentino und G. Galluzzo, Avvocati dello Stato (C-106/19),
Comune di Milano, Prozessbevollmächtigte: J. Alberti, M. Condinanzi, A. Neri und F. Sciaudone, Avvocati (C-232/19),
Klägerinnen,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, J. Bauerschmidt, F. Florindo Gijón und E. Rebasti als Bevollmächtigte,
Europäisches Parlament, vertreten durch I. Anagnostopoulou, A. Tamás und L. Visaggio als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
Europäische Kommission, vertreten durch K. Herrmann, D. Nardi und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin, I. Jarukaitis, N. Jääskinen und J. Passer sowie der Richter J.-C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb, A. Kumin und N. Wahl (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2021,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Oktober 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihren Klagen beantragen die Italienische Republik (C-106/19) und die Comune di Milano (Gemeinde Mailand, Italien) (C-232/19) die Nichtigerklärung der Verordnung (EU) 2018/1718 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in Bezug auf den Sitz der Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2018, L 291, S. 3, im Folgenden: angefochtene Verordnung).
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Am 12. Dezember 1992 erließen die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf der Grundlage von Art. 216 des EWG-Vertrags, Art. 77 des EGKS-Vertrags und Art. 189 des EAG-Vertrags den Beschluss über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1992, C 341, S. 1, im Folgenden: Beschluss von Edinburgh).
Rz. 3
Art. 1 des Beschlusses von Edinburgh legte den Sitz des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission, des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Europäischen Rechnungshofs und der Europäischen Investitionsbank fest.
Rz. 4
Art. 2 dieses Beschlusses lautet:
„Der Sitz anderer bereits bestehender oder noch zu schaffender Einrichtungen und Dienststellen wird von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten auf einer der nächsten Tagungen des Europäischen Rates im gegenseitigen Einvernehmen unter Berücksichtigung der Vorteile, die obige Bestimmungen für die betreffenden Mitgliedstaaten mit sich bringen, festgelegt; Mitgliedstaaten, in denen derzeit keine Gemeinschaftsinstitution ihren Sitz hat, wird dabei angemessene Priorität eingeräumt.”
Rz. 5
Art. 341 AEUV sieht vor, dass „[d]er Sitz der Organe der Union … im Einvernehmen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmt [wird]”.
Rz. 6
Im Protokoll Nr. 6 über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen der Europäischen Union (im Folgenden: Protokoll Nr. 6), das dem EU-Vertrag, dem AEU-Vertrag und dem EAG-Vertrag beigefügt ist, heißt es:
„Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten -
Gestützt auf Artikel 341 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, und Artikel 189 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemei...