Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 2001/83/EG. Art. 1 Nr. 2 und Art. 2 Abs. 2. Begriff ‚Funktionsarzneimittel’. Produkt, dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel nicht nachgewiesen ist. Berücksichtigung der Dosierung der Wirkstoffe
Beteiligte
Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg |
Tenor
1. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung nicht auf ein Produkt anzuwenden ist, dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist, ohne dass sie ausgeschlossen werden kann.
2. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Kriterien der Modalitäten des Gebrauchs eines Produkts, des Umfangs seiner Verbreitung, der Bekanntheit bei den Verbrauchern und der Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, für die Entscheidung, ob dieses Produkt unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt, weiter relevant sind.
3. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Produkt – abgesehen von den Stoffen oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, zur Erstellung einer medizinischen Diagnose angewandt zu werden – nicht als Arzneimittel im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, wenn es aufgrund seiner Zusammensetzung – einschließlich der Dosierung seiner Wirkstoffe – und bei bestimmungsgemäßer Anwendung die physiologischen Funktionen nicht in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2007, in dem Verfahren
Hecht-Pharma GmbH
gegen
Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg,
Beteiligte:
Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. ilešič, A. Tizzano, A. Borg Barthet (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Abteilungsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Hecht-Pharma GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin C. Sachs,
- des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Lüneburg, vertreten durch H. Laackmann als Bevollmächtigten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch N. Dafniou, O. Patsopoulou und M. Apessos als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch E. Ośniecka-Tamecka, T. Krawczyk und P. Dąbrowski als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Bryanston-Cross als Bevollmächtigte im Beistand von A. Henshaw, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Stromsky, B. Schima und G. Wilms als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Juni 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) und insbesondere die Auslegung ihrer Art. 1 Nr. 2 und 2 Abs. 2.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hecht-Pharma GmbH (im Folgenden: Hecht-Pharma) und dem Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg über die Einstufung eines Produkts mit der Bezeichnung „Red Rice” als Nahrungsergänzungsmittel oder als Arzneimittel zu dem Zweck, es in Deutschland in den Verkehr zu bringen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 in der ursprünglichen Fassung bedeutete „Arzneimittel”:
„Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden;
alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden …”
Rz. 4
Nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 bedeutet „Arzneimittel” nunmehr:
- „Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit ...