Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Hindernis. Gleichbehandlung. Einstufungsverfahren zur Vergabe von Stellen an bestimmten nationalen öffentlichen Einrichtungen. Zulassungsbedingung, die an die in diesen Einrichtungen erworbene frühere Berufserfahrung geknüpft ist. Nationale Regelung, nach der die in anderen Mitgliedstaaten erworbene Berufserfahrung nicht berücksichtigt werden darf. Rechtfertigung. Ziel der Bekämpfung von prekärer Beschäftigung

 

Normenkette

AEUV Art. 45; Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 3 Abs. 1

 

Beteiligte

Ministero dell'Istruzione, dell'Università e della Ricerca (Classements spéciaux)

BM

NP

Ministero dell’Istruzione dell’Università e della Ricerca – MIUR

 

Tenor

Art. 45 AEUV und Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass nur Bewerber, die eine bestimmte Berufserfahrung an nationalen öffentlichen Hochschuleinrichtungen für Kunst, Musik und Tanz erworben haben, zu einem Verfahren zur Aufnahme in Ranglisten, die erstellt werden, um mittels unbefristeter und befristeter Arbeitsverträge Personal in diese Einrichtungen einzustellen, zugelassen werden können und die somit verhindert, dass für die Zwecke der Zulassung zu diesem Verfahren die in anderen Mitgliedstaaten erworbene Berufserfahrung berücksichtigt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-132/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 13. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2022, in dem Verfahren

BM,

NP

gegen

Ministero dell’Istruzione,dell’Università e della Ricerca – MIUR

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb, des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev (Berichterstatter) und des Richters A. Kumin,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von BM und NP, vertreten durch D. Terracciano, Avvocata,
  • –        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca und A. Jacoangeli, Avvocati dello Stato,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 Abs. 1 und 2 AEUV und von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BM und NP, italienische Staatsangehörige, die in anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik Berufserfahrung erworben haben, auf der einen Seite und dem Ministero dell’Istruzione, dell’Università e della Ricerca – MIUR (Ministerium für Bildung, Hochschulen und Forschung, Italien) (im Folgenden: Ministerium) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit eines Ministerialdekrets, wonach zum Verfahren für die Aufnahme in Ranglisten für die Einstellung von Personal in öffentlichen Hochschuleinrichtungen für Kunst, Musik und Tanz in Italien mittels unbefristeter und befristeter Arbeitsverträge nur Bewerber zugelassen werden, die eine gewisse Berufserfahrung an diesen Einrichtungen erworben haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 492/2011

Rz. 3

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 bestimmt:

„Die folgenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats finden im Rahmen dieser Verordnung keine Anwendung:

b)      Vorschriften, die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, dass Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden.

…“

Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge

Rz. 4

Paragraf 5 („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“) der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) lautet:

„1.      Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung best...

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