Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Ehemaliges Mitglied der Europäischen Kommission. Befreiung von der Gerichtsbarkeit. Klage wegen außervertraglicher Haftung. Aufhebung. Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union
Normenkette
AEUV Art. 268, 270, 340, 343; EGBefrProt Art. 11, 17, 19
Beteiligte
Tenor
Der Gerichtshof der Europäischen Union verfügt über eine ausschließliche, die Zuständigkeit der nationalen Gerichte ausschließende Zuständigkeit, über eine Klage wegen außervertraglicher Haftung zu entscheiden, die ein ehemaliger Bediensteter auf Zeit der Europäischen Kommission wegen eines Fehlverhaltens erhoben hat, das er dem Mitglied dieses Organs, dessen Mitarbeiter er war, zur Last legt und das dieses zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit diesem Bediensteten veranlasst hat. Eine solche Klage darf nicht gegen das betreffende Mitglied der Kommission, sondern muss gegen die Europäische Union, vertreten durch die Kommission, gerichtet sein.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Polymeles Protodikeio Athinon (Erstinstanzliches Gericht Athen, Griechenland) mit Entscheidung vom 18. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 2019, in dem Verfahren
OH
gegen
ID
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von OH, vertreten durch G. Trantas, dikigoros,
- von ID, vertreten durch E. Politis, dikigoros,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis, T. S. Bohr und S. Delaude als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Februar 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 343 AEUV sowie der Art. 11, 17 und 19 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (ABl. 2016, C 202, S. 266, im Folgenden: Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OH, einem ehemaligen Bediensteten auf Zeit der Europäischen Kommission, und ID, einem ehemaligen Mitglied der Europäischen Kommission griechischer Staatsangehörigkeit (im Folgenden: Mitglied der Kommission), wegen eines Fehlverhaltens, das OH diesem zur Last legt und das die Kommission dazu veranlasst haben soll, seinen Arbeitsvertrag zu beenden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 11 Buchst. a des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen lautet:
„Den Beamten und sonstigen Bediensteten der Union stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit folgende Vorrechte und Befreiungen zu:
a) Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, jedoch vorbehaltlich der Anwendung der Bestimmungen der Verträge über die Vorschriften betreffend die Haftung der Beamten und sonstigen Bediensteten gegenüber der Union und über die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union für Streitsachen zwischen der Union und ihren Beamten sowie sonstigen Bediensteten. Diese Befreiung gilt auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit”.
Rz. 4
Art. 17 dieses Protokolls bestimmt:
„Die Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen werden den Beamten und sonstigen Bediensteten der Union ausschließlich im Interesse der Union gewährt.
Jedes Organ der Union hat die Befreiung eines Beamten oder sonstigen Bediensteten in allen Fällen aufzuheben, in denen dies nach seiner Auffassung den Interessen der Union nicht zuwiderläuft.”
Rz. 5
Art. 19 des Protokolls bestimmt:
„Die Artikel 11 bis 14 und Artikel 17 finden auf den Präsidenten des Europäischen Rates Anwendung.
Sie finden auch auf die Mitglieder der Kommission Anwendung.”
Griechisches Recht
Rz. 6
Nach Art. 3 Abs. 2 des Kodikas Politikis Dikonomias (Zivilprozessordnung) fallen ausländische Staatsangehörige, die von der Gerichtsbarkeit befreit sind, nicht in die Zuständigkeit der griechischen Gerichte, es sei denn, der Rechtsstreit betrifft dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen.
Rz. 7
Außerdem fallen nach Art. 24 der Zivilprozessordnung von der Gerichtsbarkeit befreite griechische Staatsangehörige und im Ausland tätige Staatsbedienstete in die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk sie vor ihrer Entsendung wohnhaft waren, bzw., wenn sie keinen Wohnsitz in Griechenland haben, in die Zuständigkeit der Gerichte der Hauptstadt dieses Mitgliedstaats.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 8
Am 1. November 2014 wurde OH von der Kommission gemäß Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (im Folgenden: BBSB) als Bediensteter auf Zeit eingest...