Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Telekommunikationssektor. Verarbeitung personenbezogener Daten und Schutz der Privatsphäre. Einschränkung der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation. Gerichtliche Entscheidung, mit der das Abhören, die Aufzeichnung und die Speicherung von Telefongesprächen von Personen, die einer schweren vorsätzlichen Straftat verdächtigt werden, genehmigt werden. Praxis, wonach die Entscheidung nach einer Textvorlage und ohne individualisierte Begründung abgefasst wird. Begründungspflicht

 

Normenkette

Richtlinie 2002/58/EG Art. 15 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47 Abs. 2

 

Beteiligte

HYA u.a

HYA

IP

DD

ZI

SS

 

Tenor

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen,

dass er einer nationalen Praxis, wonach gerichtliche Entscheidungen, mit denen auf einen ausführlichen mit Gründen versehenen Antrag der Strafverfolgungsbehörden hin die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde, nach einer Textvorlage abgefasst sind, die keine individualisierte Begründung enthält, sondern sich – abgesehen von der Angabe der Gültigkeitsdauer der Genehmigung – auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen der in diesen Entscheidungen angeführten Regelung erfüllt seien, nicht entgegensteht, sofern die genauen Gründe, aus denen der zuständige Richter zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die gesetzlichen Anforderungen unter den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des konkreten Falls erfüllt seien, sich leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Antrag auf Genehmigung nebeneinander gelesen werden, wobei dieser Antrag nach erteilter Genehmigung der Person zugänglich gemacht werden muss, in Bezug auf die die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 3. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2021, in dem Verfahren

HYA,

IP,

DD,

ZI,

SS,

Beteiligte:

Spetsializirana prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von IP, vertreten durch H. Georgiev, Advokat,

von DD, vertreten durch V. Vasilev, Advokat,

der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der irischen Regierung, vertreten durch M. Browne, D. Fennelly, A. Joyce und M. Lane als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Georgieva, H. Kranenborg, P.-J. Loewenthal und F. Wilman als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Oktober 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen HYA, IP, DD, ZI und SS wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2002/58

Rz. 3

Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/58 lautet:

„Wie die Richtlinie 95/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31)] gilt auch die vorliegende Richtlinie nicht für Fragen des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in Bereichen, die nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallen. Deshalb hat sie keine Auswirkungen auf das bestehende Gleichgewicht zwischen dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre und der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Maßnahmen nach Artikel 15 Absatz 1 dieser Richtlinie zu ergreifen, die für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, für die Landesverteidigung, für die Sicherheit des Staates (einschließlich des wirtschaftlichen Wohls des Staates, soweit die Tätigkeiten die Sicherheit des Staates berühren) und für die Durchsetzung strafrechtlicher Bestimmungen erforderlich sind. Folglich betrifft diese Richtlinie nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zum rechtmäßigen Abfangen elektronischer Nachrichte...

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