Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs, Rundungsregelung, Rundung des Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs, Vorsteueraufteilung bei Banken
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, die in dieser Bestimmung vorgesehene Rundungsregel anzuwenden, wenn der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach einer der abweichenden Methoden des Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie berechnet wird.
2. Die Art. 184 ff. der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten in dem Fall, dass der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach innerstaatlichem Recht nach einer der in Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie oder in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgesehenen Methoden berechnet wurde, nur dann verpflichtet sind, die Rundungsregel des Art. 175 Abs. 1 der erstgenannten Richtlinie im Fall der Vorsteuerberichtigung anzuwenden, wenn diese Rundungsregel zur Bestimmung des ursprünglichen Vorsteuerabzugsbetrags angewandt wurde.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 175 Abs. 1, Art. 173 Abs. 2, Art. 184
Beteiligte
Kreissparkasse Wiedenbrück |
Verfahrensgang
FG Münster (Deutschland) (Beschluss vom 17.03.2015; Aktenzeichen 15 K 2390/12; EFG 2015, 1237) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Vorsteuerabzug ‐ Art. 173 Abs. 1 ‐ Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für steuerbare als auch für steuerbefreite Umsätze verwendet werden (gemischt genutzte Gegenstände und Dienstleistungen) ‐ Bestimmung der Höhe des Vorsteuerabzugs ‐ Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs ‐ Art. 174 ‐ Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs unter Anwendung eines Umsatzschlüssels ‐ Art. 173 Abs. 2 ‐ Ausnahmeregelung ‐ Art. 175 ‐ Regel zur Rundung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ‐ Art. 184 und 185 ‐ Berichtigung der Vorsteuerabzüge“
In der Rechtssache C-186/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Münster (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 2015, in dem Verfahren
Kreissparkasse Wiedenbrück
gegen
Finanzamt Wiedenbrück
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Sváby sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter) und M. Vilaras,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Kreissparkasse Wiedenbrück, vertreten durch Steuerberater O. Peters,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 173 Abs. 2, Art. 175 Abs. 1 und Art. 184 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kreissparkasse Wiedenbrück (im Folgenden: Kreissparkasse) und dem Finanzamt Wiedenbrück (Deutschland) über die Berechnung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, die beim Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen geschuldet oder entrichtet wird, die sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht (im Folgenden: gemischt genutzte Gegenstände und Dienstleistungen).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Richtlinie
Rz. 3
Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sah in Abs. 5 vor:
„Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.
Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.
Jedoch können die Mitgliedstaaten
a) dem Steuerpflichtigen gestatten, für jeden Bereich seiner Tätigkeit einen be...