Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Beamte der Europäischen Union. Statut der Beamten der Europäischen Union. Zwingender Anschluss an das System der sozialen Sicherheit der Organe der Europäischen Union. Eine Berufstätigkeit als Selbständiger ausübender Unionsbeamter im Ruhestand. Beitragspflicht zur Sozialversicherung nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird
Beteiligte
Acerta – Caisse d’assurances sociales ASBL |
Institut national d’assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti) |
Tenor
Art. 14 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und die Bestimmungen des Statuts der Beamten der Europäischen Union, insbesondere Art. 72 des Statuts, sind dahin auszulegen, dass sie einer durch das Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen Pflichtmitgliedschaft eines Beamten der Europäischen Union im Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats entgegenstehen, wenn dieser bis zum Erreichen des Ruhestandsalters im Dienst eines Organs der Union verblieben ist und eine selbständige berufliche Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat ausübt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-415/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal du travail francophone de Bruxelles (französischsprachiges Arbeitsgericht von Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 9. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2022, in dem Verfahren
JD
gegen
Acerta – Caisse d’assurances sociales ASBL,
Institut national d’assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti),
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter), des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von JD, vertreten durch J. Buekenhoudt, Avocat,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch S. Baeyens, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von S. Rodrigues und A. Tymen, Avocats,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und A. Daniel als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch T. S. Bohr und D. Martin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der Anwendbarkeit nur eines Rechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, wie er in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, die wiederum durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. 1999, L 38, S. 1) geändert wurde (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), und in weiterer Folge in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1) zum Ausdruck kommt.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JD, einem sich im Ruhestand befindenden Beamten der Europäischen Kommission, einerseits und der Acerta – Caisse d’assurances sociales ASBL (Sozialversicherungskasse ASBL, im Folgenden: Acerta), dem Institut national d’assurances sociales pour travailleurs indépendants (Landesinstitut der Sozialversicherungen für Selbständige, im Folgenden: Inasti) und dem État belge (Belgischer Staat) andererseits wegen der von JD erhobenen Pflichtbeiträge zum belgischen Sozialversicherungssystem für die Jahre 2007 bis 2020.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Protokoll
Rz. 3
Art. 12 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (ABl. 2010, C 83, S. 266, im Folgenden: Protokoll) lautet wie folgt:
„Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die [Europäische] Union ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlt, wird zugunsten der Union eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahren erhoben, die vom Europäischen Parlament und vom Rat [der Europäischen Union] durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung der betroffenen Organe festgelegt werden.
Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf die von der Union gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit.“
Rz. 4
In Art. 14 des Protokolls heißt es:
„Das … Parlament und der Rat legen durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren na...